Mysteryland
Allein. Ich war tatsächlich allein. Noch konnte ich es gar nicht glauben. Ein Freitagabend, an dem keine Einladung, Party oder Familientreffen anstand, mein Mann mit den Jungs unterwegs war und unsere Töchter bei meiner Schwester einen Harry Potter Filmabend veranstalteten.
Ich empfand diese seltenen Momente des nur für mich Da-sein-Dürfens als absoluten Luxus. Loslassen … den Alltag vergessen und mit kindlich-trotziger Renitenz, all das, was die Familie sonst nicht zulässt oder belächelt, in einen Moment packen – und wenn er auch nur ein, zwei Stunden dauert.
Das nach Tannennadeln duftende Schaumbad, die vielen bunten Kerzen, die angelaufene Scheibe und im Hintergrund die Balladen meiner Lieblings CD steigerten die Vorfreude. Den Telefonhörer hatte ich vorsorglich zur Seite gelegt … nichts und niemand sollte mich stören.
Mit der Fußspitze testete ich das dampfende Wasser. Es war heiß, herrlich heiß, fast zu heiß, … Langsam ließ ich mich in die Wanne gleiten, eine gefühlte Ewigkeit, bis ich entspannt lag … Genussvoll zog ich an der Lucky Strike, beobachtete die glasklaren Eiswürfel in meinem Drink und genoss das Vollbad.
Mit kindlicher Freude schielte ich zur bereitgelegten Nintendo Spielkonsole. Super Mario hüpfte über Stock und Stein und ich erreichte den nächsten Level …
Ich gab alles, meinen Helden durch die neue virtuelle Welt zu steuern, bis er keine Lust mehr hatte. Und ich auch nicht. Mit einem nassen Waschlappen über den Augen lauschte ich den Klängen der Stereoanlage und langsam, unendlich langsam rutschte ich immer tiefer ins Wasser. Als es meine Ohren umschloss, hörte ich nur noch das leise Schlagen meines eigenen Herzen.
Um mich herum … nur besinnliche Stille. Kurz bevor ich meine kostbare Freizeit mit einem Nickerchen dezimierte, tauchte ich wieder auf, wusch mir die Haare und der höllisch scharfe Ladyshave ließ jedes andere Härchen auf meinem Körper verschwinden.
Dann duschte ich mich kalt ab und sprang mit neuer Energie aus der Wanne. Mit dem Frotteehandtuch rubbelte ich meinen Körper trocken und die nach Mandeln und Honig duftende Bodylotion gab ihm die nötige Feuchtigkeit zurück.
Ich schlüpfte in meinen bequemen dunkelblauen Frotteebademantel und in diese superniedlichen und absolut kitschigen Hausschuhe, über die sie alle nur lachten, weil sie die Form von Hundewelpen hatten.
Welchen Film ich mir ansehen wollte, wusste ich längst. Einen von meinen. Einen, bei dem Jürgen immer abfällig die Nase rümpft, weil er ihm zu schnulzig ist. Auf dem Wohnzimmertisch flackerte meine Duftkerze und ruhten die Fersen meiner Füße. Das moderne Märchen, das ich bestimmt schon zehnmal gesehen hatte, zog mich in seinen Bann …
„Hat Ihnen diese herrliche Oper gefallen, Schätzchen?“
„Ja, einfach toll, ich hätte mir fast in die Hosen gepinkelt.“
Zum ersten Mal musste ich bei der Szene richtig lachen. Nicht weil es so originell war, aber ein guter Freund von mir gab sich auch fünf Stunden Opern-Marathon von Wagner.
Plötzlich hatte ich einen Einfall und sprintete ins Badezimmer. Mit Handspiegel und einer sündhaft teuren Creme, die ich geschenkt bekommen hatte, widmete ich mich weiter dem Film. Mit der Zeit bescherte sie mir eine gewisse Ähnlichkeit mit der Hexe Elphaba aus »Der Zauberer von Oz« .
„Sie verdienen hundert Dollar die Stunde und halten ihre Stiefel mit Sicherheitsnadeln zusammen?!“
„Oh ja, Eddie, sag’s ihr mal, das geht ja gar nicht …“, mischte ich mich in die Szene ein und spulte die DVD zurück, um seinen Gesichtsausdruck noch einmal zu genießen. Ein ähnlicher Ausdruck reflektierte sich in meinem Handspiegel, als ich ein Poltern im Treppenhaus vernahm. Meine Mimik mutierte zu Stein, als aus der dunklen Vorahnung die blanke Realität wurde.
Mit einem Sixpack Bier unter dem Arm stand mein Göttergatte, nebst der ebenfalls reichlich eingedeckten Pokerrunde im Flur und grinste dümmlich. Auf sein noch blöderes Schulterzucken konnte ich nur mit einem Augenrollen reagieren.
„Servus, Schwesterlein“, begrüßte mich Eddy. „Du siehst heute viel besser aus als sonst!“
„Danke Eduard!“
Auch wenn mein Bruder nicht versuchte, mir unter den Bademantel zu schielen, zog ich es in Anbetracht der neuen Umstände vor, mich aufzurichten und unauffällig den Sitz des verrutschten Kleidungsstücks zu überprüfen.
„Steht dir gut, Anja. Ich steh auf grün!“, meinte der Nächste.
„Tut mir leid, Anja. Jürgen hat uns einfach mitgeschleppt. Ich hoffe, das ist für dich okay!“, entschuldigte sich ein weiterer.
„Platz da! Ich muss pissen wie ein Brauereigaul … oh – du bist auch hier?“
„Das liegt daran, dass ich hier wohne, Siggi.“
„Ist jetzt gut, Männer. Ab ins Wohnzimmer. Und denkt daran, hier ist absolutes Rauchverbot!“, ermahnte mein Mann seine Freunde. Trotz der brennenden Duftkerze roch ich den kalten Qualm ihrer Klamotten und zögernd setzte ich mein Sonntagslächeln auf.
Während die Meute ins Wohnzimmer stiefelte, hörte ich jemand fragen. „Sag‘ nicht, dass du in echt Eduard heißt, Eddy?“
„Schnauze! Wenn einer von euch traurigen Gestalten es auch nur wagt, mich so zu nennen, pokert er ohne Zähne weiter!“
Fragend sah ich Jürgen an. Er beugte sich zu mir herunter und versuchte, mir umständlich einen Kuss zu geben. Wieso eigentlich? Meine Lippen waren ja nicht mit der Creme verdeckt.
„Sorry, Maus. Wir hatten ein kleines Problem. Ollis Frau drehte etwas durch, und deswegen haben wir beschlossen, hier weiterzuspielen.“
„Wir können aber auch in die Kneipe gehen, wenn es dir zu viel sein sollte, Anja!“, rief einer der Männer aus dem Wohnzimmer.
„Nein, bleibt ruhig hier. Es kam nur … etwas überraschend.“ Ich erhob mich von der Couch. „Wo ist eigentlich Olli?“
„Hat so was wie Hausarrest bekommen!“
„Wow, die Frau hat ihren Mann im Griff“, stellte ich fest und verzog mich ins hintere Bad, neben unserem Schlafzimmer. Während Jürgen seine an ihren Bierflaschen nuckelnden Gäste mit ein paar Knabbereien versorgte, zog ich vorsichtig die durchgehärtete Maske ab.
Der »Pretty Woman«-Filmabend war gestorben, und nie und nimmer hätte ich mich zu den pokernden Jungs ins Wohnzimmer gesetzt. In Gedanken versunken ging ich das Adressbuch meines Handys durch und wählte eine Nummer.
„Ich bin’s!“
„Wer ist – ich bin’s?“
„Na ich, Anja!“
„Ja klar, hätte ich mir gleich denken können.“
„Was machst du heute noch?“
„Muss arbeiten, aber erst später … trinken wir was, Süße?“
„Im Bistro? In ’ner halben Stunde?“
„Wird mir nicht ganz reichen, aber ich beeile mich.“
„Okay, cool, bis dann.“
„Bis gleich.“
Ich streifte den Bademantel ab, stellte mich vor den Spiegel und versuchte, frisurtechnisch zu retten, was eigentlich nicht mehr zu retten war. Der Kajal unterstrich meine Augenlider, und auf mehr Make-up verzichtete ich. Ich fletschte ein wenig die Zähne und grinste die nackte blonde Frau im Spiegel an: „Du siehst auch so ziemlich heiß aus, Anja Müller!“
Dann drehte ich mich um die eigene Achse und überprüfte, ob ich mich seit gestern wesentlich verändert hatte. Im Grunde war ich mit meinem Aussehen zufrieden. Da ich ’ne ganz normale Frau bin, natürlich einen leichten Spleen habe, hatte ich auch öfter mal was an mir auszusetzen.
Aber – nicht heute! Heute fand ich mich einfach hübsch und sexy, und genau das sollte meine Garderobe unterstreichen.
Ich hüpfte in Tanga und BH, zog die neue, schwarze Jeans, ein enges helles T-Shirt und die halbhohen Wildleder-Stiefel an. Ein letzter prüfender Blick … Perfekt! … und schnell noch bei Jürgen im Wohnzimmer vorbei schauen.
Ein Pfiff, noch einer und die üblichen Bemerkungen von Männern, deren Alkoholpegel sie längst zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet gemacht hatte.
„Wo gehst du hin, Anja?“
„Suche mir einen neuen verständnisvollen Mann, der Frauen versteht und lieber Liebesfilme ansieht, als mit seinen Kumpels zu pokern.“
„Dann viel Spaß im Schlossgarten. Da treiben die sich doch rum.“
„Häää? Wer treibt sich da rum?“, fragte Siggi.
„Schwule, du Nullblicker.“
„Wieso Schwule? Ich verstehe nicht …“
„Weil du nie was raffst! Anja sagte, sie sucht sich einen verständnisvollen Mann und …“
„Der Alkohol“, meinte Eddy leicht genervt und hörte seinen Kumpels kopfschüttelnd zu.
„Trink nicht zu viel, Schatz! Vielleicht will ich heute Nacht noch was von dir“, säuselte ich Jürgen ins Ohr und verabschiedete mich von den anderen.
Die heiße Nacht war eher ein Wunschdenken. Wieso sollte sich der Pokerabend von den anderen unterscheiden? Jeden Monat das Gleiche, und vor vier Uhr waren die eh nie fertig. Im wahrsten Sinne des Wortes. Aber ich gönnte es meinem Schatz – den gesamten Spaß, einschließlich des morgendlichen Prozedere. Wenn der arme Kerl – nicht ganz freiwillig – das Gäste-WC schrubbt und so gotterbärmlich jammert: „Arrrg, mein Schädel! Ist mir kotzübel. Nie wieder, Schatz … nie wieder …!!!“
***
Wie erwartet, war Jasmin noch nicht da. Ich begrüßte einige Bekannte, setzte mich an die Bar und bestellte was zu trinken.
„Hey! Alles fit?“
In Gedanken versunken blies ich Rauchkringel in die Luft und rührte mit dem Löffel gelangweilt im Kaffee, als ein etwa 20-jähriger – Modell Gel-Haar – mit breitem Grinsen neben mir stand und seinen Ellenbogen lässig an die Theke heftete.
„Habe dich hier noch nie gesehen, Baby!“
Ich verdrehte die Augen.
„Hey, Baby. Ich bin Igor. Was geht ab?“
„Ich bin mit etwas sehr Wichtigem beschäftigt, Igor.“
„Ah! Und was, Baby?“
„Meinen Kaffee umzurühren.“
„Ah! Und was geht heute Nacht noch so ab, Baby?“
Ich schaute ihm in die Augen. Er grinste über das ganze Gesicht. Wenn sein Haargel nicht die richtige Konsistenz aufweist, auf die überlässig angelegten Ellenbogen tropft, haut’s ihn so was von „auf die Fresse“ … aber so viel Glück gibt es nur im Film.
„Okay, Igor. Um es in deinem Jargon zu sagen – schwirr ab!“
„Okay, okay. Wenn du mich brauchst, ich schieb‘ da hinten ’ne fette Poolbillard Nummer.“
Eigentlich bin ich selten sprachlos, aber das war einer dieser Momente. War das jetzt supercool oder eher superdumm? Oder war ich einfach schon zu alt? Der kollektive Blick einiger Augenpaare veranlasste zwangsläufig auch meinen Kopf zu einer leichten Drehung in Richtung Eingang.
Eigentlich fehlte nur der obligatorische Trommelwirbel, um die personifizierte Sünde gebührend anzukündigen. Ein gleißendes Licht am Eingang, die Köpfe der Männer wie durch Magie zu ihr gedreht. Ein Wesen aus einer anderen Welt durchschritt das „Stargate“.
Hübsche, schlanke Beine in roten Mörder High Heels, ein ebenfalls roter Lederminirock, der auf dem Catwalk durchaus als breiter Gürtel durchgehen könnte und eine dunkle, transparente Bluse, unter der ein Push-up den Männern den Rest gab.
„Hey, Süße!“, rief sie durch das ganze Lokal. Jasmin winkte mir zu und zelebrierte ihren Auftritt.
Die Wirkung lässt sich nur mit Attributen beschreiben – atemberaubend, verrucht, verführerisch, sexy … selbstbewusst.
Sie fiel mir um den Hals und wir gaben uns den üblichen Begrüßungskuss.
„Bis 23 Uhr habe ich Zeit, dann muss ich los. Was machen die Mädchen, wie geht’s Jürgen?“
Nachdem die familiären Verhältnisse geklärt waren, es im Grunde auch nichts wirklich Neues gab, widmeten wir uns anderen Themen.
„Zwei Kunden sind in der Stadt und wollen mich unbedingt sehen.“
„Du nennst sie neuerdings Kunden?“
„Na klar. Ich bin in der Dienstleistungsbranche.“
„Und ’sehen wollen’ nennt man das heutzutage?“
„Mit den Augen weckt man Begierde – damit fängt alles an, Süße.“
„Ich finde das trotzdem irgendwie … seltsam.“
„Weil es nicht in deine heile Welt passt?“, erriet Jasmin meine Gedanken.
Ich lächelte sie an. „Wieso sollte meine Welt heiler sein als deine?“
„Ist sie vielleicht auch gar nicht. In Vielem sind wir uns sehr ähnlich. Wir haben denselben Modegeschmack, sind Fitness-Freaks und uns gefallen die gleichen Jungs.“
„Außer, dass ich nicht dieses Cowboykraut rauche.“
„Ja stimmt. Das hast du noch nie, oder?“, sagte Jasmin und zog die mir gereichte Zigarettenschachtel wieder zurück.
„Sagen wir so, ich habe mir noch nie Marlboro gekauft. – Du hast dich ja ziemlich in Schale geworfen, das halbe Lokal hat dir nachgeschaut.“
„Das halbe?“, grinste Jasmin cool und zwinkerte mir zu, „Ich denke … alle!“
An Selbstvertrauen hat es der Frau noch nie gefehlt, und auch um Komplimente war sie nicht verlegen. „Übrigens, ich beneide dich darum, dass du auch ohne Make-up immer goldig aussiehst, Süße.“
„Beneidest du mich auch wegen meiner zerzausten Haare?“
Wir lächelten uns an und Jasmin grinste: „Momo-Haare! … Gefällt mir, aber erzähl mal, wie es dazu kam.“
Ich berichtete ihr über den geplanten Verlauf meines Relaxabends und von der Pokerrunde. Jasmin zuckte mit den Schultern.
„War doch eine tolle Idee von Jürgen, so haben wir endlich mal wieder Zeit, uns zu sehen. Aber mal eine andere Frage: Hast du es je bereut, dass du so früh geheiratet hast, Anja?“
„Nee, wieso?“
„Ging mir so durch den Kopf, als ich hergefahren bin. Na ja, du hättest dich noch ein paar Jahre austoben und Erfahrungen sammeln können.“
„Erfahrungen habe ich auch mit Jürgen gesammelt.“
„Ja sicher, schon richtig. Aber …“
„Aber?“
„Mir wäre das zu wenig! Ich finde es geil mit verschiedenen Männern zu ficken und das Beste daran ist, dabei auch noch Kohle zu machen.“
„Ich bin aber nicht du.“
„Bist du noch nie auf die Idee gekommen, dein Geld leichter zu verdienen und vor allem – an einem Tag so viel wie sonst im Monat?“
„Nein!“, sagte ich empört. „Bin ich ’ne Nutte?“ Im selben Moment bereute ich meine Worte. „Sorry Jasmin! Das war jetzt nicht so gemeint.“
„Kein Problem! Als ich einen festen Freund hatte, war ich im Prinzip auch nur seine Nutte. Dazu durfte ich ihn bekochen, seine Wäsche waschen und mir den ganzen Scheiß seines aufregenden Bürolebens anhören. Irgendwann reichte es mir. Ich lebe lieber allein.“
„Und ich lebe genau so, wie ich es mir immer gewünscht habe.“
„Das ist das einzige Thema, über das wir jedes Mal Streit bekommen. Ist dir das auch schon aufgefallen, Anja?“
„Streit würde ich es nicht nennen, aber wir haben eben grundverschiedene Ansichten. Außerdem hast du die letzten Male mit dem Thema angefangen.“
„Stimmt! Nächstes Mal fängst du wieder an … Ach übrigens, der eine Typ da drüben starrt laufend her.“
„Das ist Igor. Grenzbegabter Aufreißer der Marke Möchtegern.“
„Solche Typen kenne ich, große Klappe und keine Kohle – Zeitverschwendung.“
„Ich fand es ziemlich frech, dass so ein Jungspund mich anspricht.“
„Na ja, der ist so 22-24. Und du siehst auch nicht grad wie 30 aus.“
„Dankeschön. Aber es war vor allem seine dumme Art. So kann er mit 18-Jährigen reden, aber …“
„… nicht mit dir! Hey, vergiss den Typ. Wir müssen unbedingt mal wieder tanzen gehen. Geht ihr noch in die Rockfabrik?“
„Donnerstags. Alle zwei Wochen. Nur Mädels. Ist immer superlustig.“
„Ruf mich doch nächstes Mal an. Wenn ich Zeit habe, komm ich vorbei und wir lassen es krachen.“
„Ich hätte echt Lust, mal wieder was Verrücktes zu machen“, sagte ich.
„Wie verrückt?“
„Etwas, woran ich noch nach Jahren denken werde.“
„Hast was Bestimmtes im Sinn?“
„Nee, bin für jeden Vorschlag empfänglich.“
„Morgen Abend?“, fragte Jasmin mit süffisantem Lächeln. „Ja oder Ja?“
„Und was?“
„Begleite mich!“
Für eine halbe Minute sah ich sie schweigend an. „Ja, klar!“
„Nein, im Ernst. Nix machen, nur mal mitkommen.“
„Nee, das mach ich nicht …!“
„Nimm Jürgen mit! Der findet das garantiert auch geil.“
„Da wette ich drauf.“
„Ab und zu kommen auch Pärchen. Höre zu, Anja. Ich kläre das mit meinem Boss ab und gebe dir Bescheid. Dann treffen wir uns im Club und ihr amüsiert euch.“
„Nee, ich denke nicht.“
„Schau es dir im Internet an. Die haben eine echt gute Homepage.“
„Das kann ich ja mal machen. Wie heißt die Seite?“
„Wie der Club. Mysteryland. Oder wie das Lied von den Ärzten.“
In Gedanken hörte ich die Melodie, und die Zeile „Deine Sehnsucht ist noch immer groß“ ließ mich lächeln. „Hab doch Mut, vertraue mir, diese Welt gefällt auch dir. Voll vom schönsten und unvorstellbaren Grauen …“
„Okay! Cool!“, antwortete ich spontan und der Gedanke bescherte mir eine kleine Gänsehaut. „Ich schau heute noch ins Internet, und wenn es mir zusagt … aber ich gehe nur hin, wenn Jürgen mitkommt.“
„Super! Dann macht das.“
Wir wechselten das Thema, plauderten und plapperten über dies und das, die Zeit verflog, Jasmin wurde unruhiger, hektisch, schaute demonstrativ auf ihre Uhr. Ich winkte der Bedienung und drückte ihr einen Zwanziger in die Hand.
„Stimmt so!“
„Oh. Vielen Dank, einen schönen Abend noch …“
„Weißt du was, Anja? Siehst du Igors Stielaugen … ich meine … wir sollten uns noch von ihm verabschieden.“
Ich verstand sofort ihre kleine Anspielung und grinste. Wir wählten den Nebenausgang, der uns – rein zufällig – an den Billardtischen vorbeiführte. Dass die Jungs auf der Stelle ihr Spiel unterbrachen, lag natürlich an Jasmins Outfit. Die Art unseres Lächelns schien bei einigen Herzrhythmusstörungen auszulösen.
„Hallo, Igor“, säuselte Jasmin.
Ich musste grinsen. Der Typ wurde nervös, sein in Sprachlosigkeit erstarrter Mund passte außerdem ganz hervorragend zu seinen gegelten Haaren …
„Kennst du uns nicht mehr? Nach der heißen Nacht?“, fragte ich traurig. „Ach, Igor, du geiler Bock, du Hengst …“, legte Jasmin weiter vor. Sie ging auf ihn zu, ganz nah … fand den verruchtesten Tonfall, den ihre Stimme zu leisten imstande war: „Du warst einfach fantastisch, Igor, mein Hengst.“
Jasmin küsste den verdutzten Igor auf die Wange und warum meine Lippen plötzlich auf seinem nicht gerade Sinnlichkeit vermittelnden Mund gelandet waren, weiß ich heute nicht mehr.
Jasmin und ich hakten uns ein, schlenderten gemütlich, vielleicht auch ein Stück weit aufreizend, in Richtung Ausgang.
Die Sprachlosigkeit schien nur ein kurzer Moment in Igors Leben gewesen zu sein, ganz plötzlich stand er hinter uns. „Hey Pussybabys, ich kapier‘ zwar nicht genau, was das sollte, aber das mit der geilen Nacht steht doch noch, oder was geht ab?“
„Na, wenn du auf einen wirklich geilen Dreier stehst, an uns soll’s nicht liegen.“
Unser russischstämmiger Verehrer war jetzt wirklich am Ende. Er stammelte etwas vor sich hin und dankte irgendeiner höheren Macht für den Tag.
Wir blieben stehen, sodass seine Kumpels uns noch beobachten konnten, und Jasmin streichelte Igor sanft über die Wange. „Für deine Freunde bist du jetzt – The Man! Also genieße es.“
Sie beugte sich vor, küsste ihn auf die zuvor gestreichelte Wange, und – um dem Ganzen noch die sprichwörtliche Krone aufzusetzen, fasste sie ihm einfach in den Schritt.
„Wow – ihr macht mich fertig, ich sag nur schnell meinen Kumpels Bescheid.“
„Würde ich nicht tun, Igor – es sei denn, du willst sie ihrer Illusionen berauben“, warnte ich ihn.
„Wie? Was? Ich versteh‘ nicht!“
„Wenn du zehn Jahre älter wärst, Igor … geh wieder Billard spielen!“
„Ihr macht mich fertig! Ich dachte …“
„Nicht denken, Igor! Überlass‘ das den Pferden, die haben einen größeren Kopf. Es liegt nicht an dir.“
„Wir sind … lesbisch, da hast du leider keine Chance“, fügte ich hinzu und nahm Jasmin bei der Hand. „Oder törnt dich das etwa an? Willst du mal zuschauen, Igor?“
„Meine Fresse … ich bin dabei!“
„Es wird dir gefallen, wie wir unsere nackten, sinnlichen, durchtrainierten Körper aneinander reiben und …“ Ich fuhr mit der Zunge über die Lippen und schaute meine Freundin an.
Jasmin nahm meine Hand und legte sie auf ihr Dekolleté.
„Ich begehre dich, Süße. Lass uns in den Sonneuntergang reiten …“
Jasmin legte ihren Arm über meine Schultern und wir wandten uns dem Ausgang zu,… Was hätte ich jetzt dafür gegeben, den Gesichtsausdruck des armen Igor sehen zu können …
Kaum waren wir draußen, pinkelten wir uns fast ins Höschen.
„Sonnenuntergang? Mitten in der Nacht? Und … reiten?“
„Mein Gott, ich dachte an diesen Cowboy, dieses Comic … Lucky Luke.“
Wir kicherten albern und klatschten wie Teenies ab. Ein Pärchen ging vorbei und sah uns verwundert an.
„Igor wusste gar nicht mehr, wo ihm der Kopf stand.“
„Ja, die arme Sau“, sah es Jasmin ebenso.
Das ist ja ein Zweisitzer“, stellte ich fachkundig fest, als wir vor Jasmins feuerrotem Sportwagen standen.
„Wow! Die Frau des Kfz-Meisters“, meinte sie trocken. „Der hat doppelt so viel Platz, wie ich benötige.“
„Sieht gut aus. Und teuer. Was ist das überhaupt für eine Marke?“
„Ist das wichtig? Sieht doch gut aus. Und ich habe sogar eine Mobilitätsgarantie“, grinste Jasmin. „Also Anja, ich klär das dann ab und melde mich bei dir.“
„Cool. Aber rechtzeitig, ich muss mich darauf erst noch mental vorbereiten.“
„Morgen Nachmittag, dann hast du Zeit genug dich hübsch zu machen und Jürgen zu überzeugen.“
„Letzteres ist das kleinere Problem. Aber was soll ich überhaupt anziehen?“
Jasmin sah auf ihre Armbanduhr und schloss ihren Sportwagen auf.
„Reden wir morgen drüber, ich muss los.“
Wir verabschiedeten uns in gewohnter Manier. Während sie in ihren Flitzer stieg, machte ich mir Gedanken, wie jemand in den Schuhen überhaupt fahren konnte … als die roten Rückleuchten an der Kreuzung verschwanden, schauderte es mich ein wenig, bei den Gedanken an die groteske Pokergesellschaft zu Hause …
„Je später der Abend, desto schöner die Gäste.“
Ich drehte mich um und erkannte ein paar Freunde aus dem Radsportverein.
„Willst du schon heim, Anja?“
„Komm schon, so jung kommen wir nie wieder zusammen …“
In Anbetracht der bei uns tagenden Pokerrunde … Ich hakte in den mir dargebotenen Arm ein …
Auf der Heimfahrt musste ich ständig an diesen Club denken. Ich war hin und her gerissen. Einerseits faszinierte mich die Vorstellung … die mich andererseits befremdete, ja, sogar abstieß. Frauen, die gegen Bezahlung Sex anbieten – unvorstellbar – für Geld den Körper verkaufen … oder sogar noch mehr?
… Deine Sehnsucht ist noch immer groß. Komm mit mir und du wirst sehen, wenn wir durch den Spiegel gehen, wirst du deinen Augen nicht mehr trauen.
Hab doch Mut, vertraue mir, diese Welt gefällt auch dir …
***
Zu Hause zockten die Jungs immer noch. Euphorisch berichtete mir Jürgen, dass er bis jetzt schon 18 Euro gewonnen hatte. Rechnete ich die beiden leeren Whiskeyflaschen aus unserer Bar dagegen, hielten sich die familiären Verluste noch in Grenzen. Siggi sortierte die neuen Karten verkehrt herum in sein Blatt ein und wunderte sich mit weit aufgerissenen Augen. Nur Eddy schien immer noch im gleichen Zustand zu sein, und reagierte zunehmend genervter.
Als er risikofreudig ganze zwei Euro in den Pott schob, ging ein Raunen durch die Pokerrunde. Ohne dass sie es merkten, zog ich mich ins Schlafzimmer zurück.
Mit zittrigen Fingern tippte ich »Mysteryland« in die Adresszeile und wartete, bis sich die Site aufbaute. Wieder durchströmte mich die Ambivalenz, die Faszination des Fremden, die mich anzog und gleichzeitig abstieß. Ich schaute mir alle Bilder an und las mit Faszination die Einträge im Gästebuch. Süß, geradezu poetisch die einen, vulgär und geschmacklos die anderen Stimmen … Als ich den Deckel des Laptops schloss, rotierte der Pendel schon mächtig in meinem Sinn. Ich schlich ins Bad, die Jungs diskutierten über ein ungeschriebenes Pokergesetz, und Minuten später war ich unter meiner kuschelweichen Bettdecke.
Alea iacta est – Caesar warf die symbolischen Würfel am Rubikon … kurz bevor ich einschlief, waren sie gefallen.
***
Am nächsten Tag weihte ich Jürgen ein, der mit seiner Entscheidung weitaus weniger Probleme hatte, im Gegenteil sogar fast zu schnell von meiner Idee begeistert war. Am Nachmittag telefonierte ich mit Jasmin und ließ mir einige Tipps geben. Relativ viel Zeit verwendete ich im Badezimmer: Haare richten, Fingernagelpflege und zuletzt die Königsdisziplin: Das richtige Make-up finden.
Unter der Woche benutze ich so gut wie nie Make-up. Auch nicht im Büro. Die Augen mit Kajal nachziehen, gehört allerdings bei mir zum Morgenritual, wie das Zähneputzen oder Duschen.
Dem Alltäglichen folgt dann die Steigerung für besondere oder ganz besondere Anlässe: Und der heutige Anlass war durchaus eine Reihe von Experimenten wert. Dass ich am Ende wieder bei meinem Favoriten landete, wunderte mich eigentlich kaum. Zurzeit waren es Nude-Töne.
Die Basis bildet die sonnengebräunte Haut. Auf eine Grundierung wird verzichtet. Augenbrauen mit einer Bürste in Form bringen, Bronzepulver mit leichten Glanzpartikeln auf die Wangen stäuben. Einen goldigen Creme-Eyeshadow auf die Lider und die Brauen tupfen, das hellt die Härchen optisch auf. Danach noch mal bürsten, Wimpern dezent in Schwarz akzentuieren und zum Abschluss transparentes Gloss auf die Lippen, damit der Mund recht verführerisch wirkt.
Nach einigem Experimentieren war ich schließlich zufrieden.
Lediglich der Zeitpunkt war schlecht gewählt. Wenn Jürgen das Bundesligaspiel seines VfB bei Premiere verfolgte, war er nicht ansprechbar. Weder verbal, noch für optische Reize. Nach der Übertragung und vor „Alle Spiele, alle Tore“ fand er dann aber doch ein paar Minuten, mein Aussehen zu würdigen.
Männer!
Ich ließ ihm sein Vergnügen und ’sprang’ in den Kleiderschrank. Es war zum verrückt werden, ich hatte wirklich nichts zum Anziehen …
„Ich dachte, das wäre ein FKK-Club, wieso machst du dir dann Gedanken, was du auf der Fahrt anziehst, Maus?“, kam’s von der Couch.
„Klappe!“
„Okay.“
Minuten später rümpfte er die Nase. „Schatz! Muss das hier sein?“
„Ja!“
Was kann ich dazu, dass Nagellackentferner so komisch riecht … Und was kann ich dafür, dass mir die mittags aufgetragene Farbe jetzt nicht mehr gefiel …?
***
Gegen 20 Uhr fuhren wir dann gemütlich los, und eine gute Stunde später standen wir vor dem Eingang des Etablissements.
Während der Fahrt redeten wir über alles Mögliche, nur nicht über den bevorstehenden Abend. Ich war höllisch nervös, versuchte meine Anspannung zu überspielen, und Jürgen sah mich fragend an. Ich nickte und er klingelte. Ein elektrischer Türöffner surrte.
„Hallo. Ich weiß schon Bescheid“, begrüßte uns eine brünette Frau an einer kleinen Rezeption. „Ich heiße Sabine, und ihr seid Tanja und Jürgen.“
„Anja …“, verbesserte sie mein Mann.
Ich schaute mich neugierig um. Die Frau trug ein schwarzes Tanktop und billigen Modeschmuck um den Hals. Doch ihr Lächeln war echt. Sie stand in einem kleinen Raum, der vorne durch eine Holztheke abgegrenzt war. Im Hintergrund hingen nummerierte Schlüssel an der Wand. Daneben gab es Fächer mit Handtüchern, alle in Weiß.
Ähnlich wie in einer Sauna, wo wir hin und wieder hingingen. Dazu passten dann auch die beiden nackten Frauen, die um die Ecke bogen und uns freundlich anlächelten.
Nun ja, nur auf den ersten Blick, denn die beiden waren grell geschminkt und in hohen Schuhen. Sie legten je einen Schlüssel auf die Theke, machten einen Scherz mit der Empfangsdame und unterhielten sich dann wieder in einer mir unbekannten Sprache.
„Einen kurzen Moment bitte“, bat uns Sabine und holte einen Ordner heraus. Die beiden Nackten unterschrieben darin und verschwanden hinter einem schweren, dunkelroten Vorhang. Ich spickte durch den Spalt, der den Eingangsbereich von der übrigen Lokalität abgrenzte. Viel erkannte ich nicht, nur, dass scheinbar einiges los war.
„Ich habe doch irgendwo diesen Vertrag …“, murmelte Sabine und durchwühlte einen Ablagekorb.
„Vertrag?“, flüsterte ich Jürgen zu, der ahnungslos mit der Schulter zuckte.
„Moment bitte … ich erkläre es euch sofort …“
Es klingelte, Sabine betätigte den Türöffner und ein Mann trat ein.
„Kann ich grad schnell …?“, fragte sie uns mit einem entschuldigenden Unterton.
Wir nickten verständnisvoll und beobachteten, wie der Gast den Eintritt bezahlte, frische Handtücher und einen Spindschlüssel bekam.
„Getränkekarte?“
„Ja bitte! Hunderter! Und eine Frage: Ist Jasmin schon hier?“
„Ja, die habe ich schon gesehen.“
„Wunderbar! Sag ihr bitte, ich dusche jetzt und sie soll schon mal Sekt bestellen, sie weiß schon welchen.“
Zufrieden grinsend schnappte er seine Handtücher und stolzierte in Richtung Umkleidekabinen.
„Jasmin? Die Jasmin?“, fragte ich die Brünette, die sich wieder dem Papierstapel widmete.
„Einer ihrer Stammkunden. Ruft immer vorher an und kommt nur, wenn sie da ist.“
Ich nickte, Jürgen lachte und erst später dämmerte mir wieso. Zweideutige Wortspiele durchschauen Männer wohl schneller oder zumindest anders als Frauen.
„Ahh, da ist es ja!“
„Gibt’s ein Problem?“, fragte Jürgen.
„Nein, nein, aber es ist normalerweise nicht üblich, dass unsere Kunden ihr Essen mitbringen“, lachte sie. „Es ist nur ein Standardformular, worauf ihr bestätigt, als Paar hier zu sein und keine finanziellen Absichten zu haben.“
Jürgen schnappte sich den Vordruck und las ihn durch.
„Jasmin hat euch aber schon erklärt, wie es bei uns abläuft?“
„Ja, so im Groben wissen wir Bescheid“, sagte ich.
„Sie erzählte, dass du gern tanzt.“
„Jasmin erzählt ziemlich viel.“
„Wir haben hier sehr wenige Geheimnisse. Also, wenn du ein wenig tanzen willst, wir hätten nichts dagegen und unseren Gästen würde das sicher gefallen.“
„Vielleicht mache ich das später auch, kommt auf die Stimmung an.“
„Natürlich. Seht euch erst mal alles an und taut ein bisschen auf. Dort hinten sind die Duschen und Umkleidekabinen … dann hier durch den Vorhang …“
Sie erklärte uns noch die Hausordnung des Clubs in geschäftsmäßig heruntergehaspeltem Ton für Neukunden. Wir bekamen Handtücher in die Hand gedrückt, und Sabine wünschte uns viel Spaß. Kurz darauf waren wir in einem kleinen Umkleideraum und verstauten unsere Klamotten im Spind. Desinfizierte Badeschuhe lagen nach der Größe geordnet in einem Regal und nach einigem Suchen fand ich wenigstens ein Paar mit Größe 40. Eine Nummer zu groß, aber hier war die Auswahl auch eindeutig auf Herrengrößen abgestimmt.
Das große Handtuch um den Oberkörper gebunden, Hand in Hand mit Jürgen, der seines um die Hüften trug, gingen wir wieder in Richtung der Rezeption. Das Lied der ‚Ärzte’ kam mir wieder in den Sinn. Der Vorhang war in gewisser Weise der Spiegel.
… Hab doch Mut, vertraue mir, diese Welt gefällt auch dir. Voll vom schönsten und unvorstellbaren Grauen. Doch, was hässlich scheint, wird plötzlich schön.
Hab doch Mut, komm doch mit, und du wirst sehn …
Augen zu und durch. Mein Kopf war längst bereit. Jürgen zog den Spalt auf, wir schlüpften hinein und platzierten uns zunächst im äußersten Eck, wollten erst einmal die Atmosphäre wirken lassen …
Eine lange, leicht geschwungene Theke dominierte die gesamte linke Seite, während Tische mit bequemen Sitzmöbeln vorne rechts standen. Dezentes, aber betont ausgerichtetes Licht, verlieh dem Saal das typische Flair einer Nachtbar. Auf einem Großbildfernseher liefen Musikclips, und etwa 30 bis 40 Männer waren mit weißen Handtüchern um den Hüften im gesamten Raum verteilt. Um sie herum oder in Grüppchen beieinander, standen viele, überwiegend 20- bis 30-jährige Frauen, die sich, teils Oben-ohne, teils in Dessous, angeregt unterhielten.
Jürgen tippte mir an die Schulter und zeigte auf einen nach rechts abgehenden Flur, den ein Sc***d als Saunabereich kennzeichnete. Wir schlenderten in die Richtung und saßen kurz darauf in einer kleinen, nicht zu heißen Kabine mit großer Glasscheibe, und schauten uns das rege Treiben in Ruhe an. Ich sortierte immer noch meine ersten Eindrücke.
Es war wie in einer Bar. Nett eingerichtet, nicht kitschig, und mit einem der Situation angepassten Dämmerlicht. Männer saßen an der Theke, tranken etwas und redeten mit den Mädchen.
Während einige sich scheinbar ganz gelassen unterhielten, parkten andere ihre Hände auf diversen Körperteilen und verschwanden meist auch recht schnell hinter einer Tür, die offenbar ins Obergeschoss führte.
„Ach du Sch… ! Schande.“
„Was ist?“, fragte Jürgen.
„Ich bin so blöd! Gehe geschminkt in die Sauna.“
Mein Mann schmunzelte. „Du siehst auch ohne Make-up super aus, Schatz.“
„Ja klar!“, ärgerte ich mich.
„Doch echt. Außerdem ist es jetzt eh zu spät. Du hast doch dein Zeugs dabei oder?“
„Trotzdem. Da habe ich überhaupt nicht dran gedacht …“
„Es gibt Schlimmeres, du kannst dich ja nachher wieder rausputzen.“
„Ich habe aber …“
„Dann frag Jasmin!“, fiel er mir ins Wort. „Oder bleib so, wie du bist, so gefällst du mir am besten.“
Er lächelte und ich zog es vor, mich nicht weiter mit ihm über die frauentypische Notwendigkeit von Farbe im Gesicht zu unterhalten. Wir beobachteten weiterhin die Aktivitäten an der Bar.
Während die Hand der Brünetten langsam unter dem Handtuch des Grauhaarigen verschwand und ihm dieses typische Grinsen im Gesicht bescherte, hatte die Schwarzhaarige bei dem Glatzkopf weniger Erfolg. Nach seinem unmissverständlichen Kopfnicken zog sie schmollend ab. Zwei junge Männer tauchten aus meinem Blickwinkel auf, setzten sich neben zwei Mädels und redeten mit Händen und Füßen. Eins war mir sofort klar. Wie an jeder Bar wurden auch hier die Kontakte geknüpft.
„Was denkst du, Maus?“, fragte Jürgen nach einer Weile.
„Ich weiß nicht. Ich habe mir das anders vorgestellt.“
„Man stellt es sich meistens anders vor, als es letztendlich ist. Die Männer kommen aus einem bestimmten Grund hierher, und die Frauen wollen Geld verdienen.“
„Das ist mir auch klar“, sagte ich eine Spur zu schnippisch. „Aber – ich finde das trotzdem … irgendwie komisch.“
Jürgen lachte und schüttelte den Kopf. „Komm Anja. Wir gehen kurz duschen und trinken dann erst mal was.“
„Okay. Oh, schau mal, da ist Jasmin.“
Meine Freundin begrüßte einen Mann mit Küsschen und setzte sich zu ihm an die Theke.
„Das ist doch der Typ, der nach ihr gefragt hat. Als wir hier ankamen und an der Rezeption warteten.“
„Ja, der Typ, der nur kommt, wenn Jasmin kommt …“
Auch wenn ich mich nicht zu Jürgen umdrehte, sein süffisantes Grinsen wegen meiner ambivalenten Aussage konnte ich mir vorstellen. Ich rückte näher an die Glasscheibe und beobachtete meine Freundin, wie sie sich mit dem wesentlich älteren Mann unterhielt.
„Setz dich doch gleich dazu.“
„Du bist ein Idiot, Jürgen!“
„Nur ein Mann. Aber ich gebe wenigstens zu, dass es mich interessieren würde, was die da quatschen.“
„Das krieg ich sowieso raus.“
„Ich weiß! Wenn du was wirklich wissen willst, kannst du ganz schön hartnäckig sein.“
„Wenn ich es weiß, bedeutet das noch lange nicht, dass du es auch erfährst“, entgegnete ich schnippisch und zeigte Jürgen die kalte Schulter.
Sekunden später umklammerten mich zwei Arme und Jürgen hauchte mir leicht über den Hals. Ich zuckte zusammen und versuchte, ihn wegzudrücken. Bevor ich zickig wurde, nahm er wieder Sicherheitsabstand ein.
„Oh Menno, Jürgen! Ich hass‘ das! Jetzt hab ich eine Gänsehaut.“
Während ich meine Arme betrachtete, grinste mein Mann zufrieden.
„Auf jetzt. Ich habe Durst.“
„Wer fährt eigentlich nachher, du oder ich?“
„Na du, Maus. Ich sagte doch eben, dass ich Durst habe.“
„Na toll. Dann kann ich nichts trinken und mir auch den Kopf nicht mit i*****len Drogen vollknallen?“
Letztere Äußerung, zugegeben, nur um ihn zu provozieren, überhörte er einfach, und wir gingen zur Dusche.
Aus dem Augenwinkel beobachtete ich meinen Mann. Wie pragmatisch und selbstverständlich Jürgen mit der für uns neuen Situation umging. Ich sollte mir eine Scheibe von ihm abschneiden … schließlich wollten wir uns hier auch amüsieren …
***
Ein paar Minuten später waren wir wieder zurück.
„Apfelsaftschorle und ein Whisky-Cola“, bestellte Jürgen an der Theke. Während wir uns am äußersten Rand hinsetzten, schaute ich ihn verwundert an. Da er Whisky grundsätzlich pur trank, war mir schlagartig klar, dass ich heute nicht heimfahren musste.
„Willst du mich abfüllen?“
„Ein bisschen, damit du etwas lockerer wirst.“
„Ich bin absolut cool.“
Jürgen lachte. „Ich habe es etwas anders gemeint.“
„Ich weiß, was du gemeint hast!“
„Hallo. Bist du neu? Hab’ dich hier noch nie gesehen?“, fragte eine dunkelhaarige Frau mit leichtem osteuropäischen Akzent. Von ihren High Heels und einer doppelreihigen Perlenkette um den Bauch abgesehen, war sie völlig nackt.
„Ich bin als Gast hier. Meine Freundin Jasmin hat uns den Club empfohlen.“
„Uns?“
„Ja. Meinem Mann und mir.“
„Oh, mal ganz was anderes“, kicherte sie. „Ich heiße Carina, aber alle nennen mich Caro.“.
„Ich bin Anja.“
„Hübscher Name.“
„Danke. Das ist Jürgen.“
„Hallo, Jürgen“, begrüßte Caro meinen Mann und wandte sich wieder an mich. „Ziemlich mutig hier herzukommen, die anderen Frauen haben sich schon gewundert.“
„Wird hier viel getuschelt?“, fragte Jürgen keck.
Die Antwort gab eine andere Frau. „Auch wenn die Frauen hier einem Job nachgehen, welcher der untersten sozialen Stufe zugeordnet wird, so sind es dennoch Frauen. Manchmal findet hier ein Zickenkrieg statt, der seinesgleichen sucht. Hey, ihr beiden, schön, dass ihr hier seid.“
„Servus Jasmin. Wir sind schon ’ne gute halbe Stunde hier“, sagte Jürgen.
„Und wie gefällt es euch?“
„Gewöhnungsbedürftig. Aber das wird noch.“
Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, aber Jasmins Outfit irritierte mich doch. Um die Hüfte trug sie so etwas wie einen breiten Gürtel, der gerade mal das Allernotwendigste verdeckte. Dazu dunkelrote Strapsstrümpfe und ebenfalls rote High Heels.
„Die Farbe der Sünde“, grinste sie mich an. „Aber Süße, wir müssen uns unbedingt über dein Outfit unterhalten.“
„Was ist damit?“, fragte ich irritiert und sah an mir runter.
Das Mysteryland ist ein FKK-Club und jeder Gast hat hier ein Handtuch umgebunden. Aber eben nur die Männer!
Als ob sie meine Gedanken lesen konnte, meinte Jasmin. „Du fällst mit deinem Handtuch auf, wie ein bunter Hund. Hast du die Sachen mitgebracht, über die wir am Telefon geredet haben?“
„Ja, habe ich dabei. In meiner Tasche – im Spind.“
„Caro, Süße. Klär doch die beiden ein bisschen auf, ich muss los. Bis später“, bat Jasmin ihre Kollegin und hakte sich bei dem schon wartenden Mann ein.
„Jasmins Sugar-Daddy mit der goldenen Kreditkarte“, sagte Caro und grinste.
„Kennst du Jasmin gut?“
„Wir sind eng befreundet“, meinte sie.
Jürgen entdeckte einen Fußball, wenn auch nur in einer Premiere-Sendung auf dem Großbildschirm und ohne Ton, was ihn aber nicht daran hinderte, fragwürdige Schiedsrichterentscheidungen mit dem Barnachbarn zu diskutieren. Ich schüttelte nur den Kopf.
Währenddessen unterhielt ich mich mit Caro. Während einige Frauen mir zulächelten, oder nachfragten, ob ich eine neue Kollegin sei, erntete ich auch einige richtig giftige Blicke. Glücklicherweise änderte sich das dann doch recht schnell, nachdem die Informationen wie ein Lauffeuer durch den Club gegangen waren. Ich war keine Konkurrentin, würde ihnen also keine Kunden wegschnappen.
Aber ich machte auch unmissverständlich klar, dass mein Mann nicht auf der Suche nach käuflicher Liebe war.
„Wir gehen eine rauchen, Schatz“, informierte ich Jürgen und folgte Carina in den Rauchersektor. Auch hier machte das Antirauchergesetz keine Ausnahme. Man hatte einfach das kleine Sexkino als Raucherraum auserkoren. Vor dem Eingang standen einige Frauen, weil der Vorhang zugezogen war.
„Kann Luca nicht auf dem Zimmer ficken, wie die meisten anderen auch?“, erboste sich eine aufgedonnerte Platinblondine mit ausgeprägtem Becken.
„Ihr Kunde steht halt drauf. Dich kotzt es doch nur an, dass du dich beim Rauchen nicht auf deinen fetten Arsch setzen kannst.“
„Stimmt gar nicht, aber die Alte muss sich an die Spielregeln halten. Meint, sie ist hier die Königin.“
Eine der Frauen sprach Carina an und sie antwortete in einer slawischen Sprache. Die Diskussion wurde hitziger und mit eindeutigen Gesten untermauert.
Plötzlich ging der Vorhang auf und der Redeschwall verstummte. Zwei junge Mädchen und Männer, die zweifelsohne ihre Väter sein könnten, traten heraus und gingen zur Treppe, die ins Obergeschoss führte. Wieder einmal hatte ich meinen „fassungslosen“ Blick aufgesetzt. Caro zupfte an meinem Handtuch. Kurz darauf saßen wir nebeneinander auf einer Liegecouch und sie gab mir Feuer. Während Carina nach dem Handy in ihrer Handtasche angelte, sah ich mich um.
Der Raum hatte die Form eines Dreiecks. Ein Großbildschirm zeigte Pornofilme, aber ohne Ton. Der rechtwinklige Teil des Kinos wurde ausgefüllt von einer riesigen, mit dunkelrotem Stoff bezogenen, Sitz- und Liegefläche. Sie war gut und gern zwei Meter tief und mit zahlreichen Kissen dekoriert. Die Wände waren dunkelgrau gestrichen und kerzenähnliche Glühlampen gaben dezentes Licht. Vor uns standen ein paar kleine Beistelltische.
Ich streifte die Asche im Aschenbecher ab und fragte einen der anwesenden Männer: „Wieso war der Vorhang eigentlich zugezogen?“
„Ich bin mir nicht sicher, vielleicht, dass niemand mehr reinkommt?“
„Richtig!“, mischte sich ein anderer ein. „Es ist ein Zeichen, dass was läuft. Die anderen Mädchen wissen Bescheid, und man verhindert, dass die Spanner reinstürzen.“
„Zuschauen ist verboten?“, fragte ich, weil ja die beiden Männer schon vor mir im Kino waren.
„Nein. Aber es gibt hier Typen, die nur aufs Spannen aus sind. Zumindest hat mir das eine mal so erklärt.“
„Bist du neu, ich habe dich hier noch nie gesehen?“, sprach mich der andere direkt an.
„Ja ich bin heute zum ersten Mal hier“, erklärte ich wahrheitsgemäß und beobachtete die Reaktion.
„Das ist ja interessant … setz dich doch mal zu mir, Hübsche, dann können wir uns überlegen, was wir machen.“
„Vielleicht später, ich mach grad Pause.“
„Sie ist den Abend über fest gebucht. Keine Chance!“, sagte Carina, nachdem sie ihre SMS beantwortet hatte.
„Schade!“
„Kann man nichts machen, tschüss.“
Die beiden standen auf und gingen nach draußen.
„Du sollst denen keine Hoffnung machen. Die hängen sonst wie eine Klette an dir!“, ermahnte mich Carina.
„Ich wecke aber gern Begierden.“
„Hat mir Jasmin schon erzählt. Du spielst gern mit dem Feuer.“
Ich zuckte mit der Schulter und legte meinen unschuldigsten Engelsblick auf. Caro lachte.
„Hallo. Ich habe heute nur sehr wenig Zeit … wie schaut’s aus?“, fragte ein jüngerer Mann, der mir schon an der Bar aufgefallen war. Scheinbar hatte er seine Vorauswahl beendet und eine Entscheidung getroffen.
„Mit uns beiden?“, fragte ich scheinheilig, legte den Kopf zur Seite und lächelte frech.
„Ähhh – gern, aber ich habe nicht so viel Geld dabei.“
„Komm, setz dich erst mal.“ Ich stand auf, bot ihm meinen Platz an und ließ Caro ihre Arbeit tun.
Ich schlenderte zur Bar, nicht ohne die Blicke mitzunehmen, die mir einige Männer schenkten, und boxte Jürgen auf den Arm. „Sind wir zum Sportglotzen hier, oder was?“
„Du warst nicht da, Maus. Und ich darf ja auch keine andere auf einen Drink einladen.“
Die freche Antwort brachte ihm dann gleich noch einen Schlag auf den Arm ein.
„Was war denn bei dem Kino für ein Zwergenaufstand?“, wollte er wissen.
Noch während ich erzählte, ging Caro mit dem Typen aus dem Kino an uns vorbei. Grinsend schaute ich ihr nach.
„Geiler Arsch“, meinte Jürgen und ich nickte. Die Frau hatte was – niedlich, süß und obendrein noch sehr nett. Zwischendurch erschien auch Jasmin wieder, und war ebenso schnell wieder verschwunden.
„Das mit dem – geilen Arsch – könnte man aber auch anders auffassen“, sagte ich zu meinem Mann. Er sah mich etwas verdutzt an, und ich verdrehte die Augen. Da mach ich mal einen kleinen zweideutigen Witz … und dann versteht er ihn nicht …
Plötzlich ein Tumult. Eine völlig hysterische Brünette rannte heulend durch den Raum und bezichtigte andere Frauen, ihr Handy gestohlen zu haben. Der schwergewichtige Türsteher eilte herbei, und verhinderte im letzten Moment, dass es zu Handgreiflichkeiten kam. Ein weiterer Mann, der Geschäftsführer, wie ich später erfuhr, kam dazu. Er sagte nur zwei Sätze und sofort war Ruhe.
Er schickte einige Frauen zu einer kleinen Bühne, wo sie ein wenig tanzten und die Aufmerksamkeit der Gäste auf sich zogen.
Ich beobachtete den Typ. Raspelkurze Haare, etwa Mitte 20, schwarze Bundfaltenhose und modisches Hemd. Ganz normale, gepflegte Erscheinung, wie sie auch bei uns im Büro herumliefen. Und er hatte es nicht nötig, laut zu werden. Er sagte noch ein paar abschließende Worte, begrüßte ein paar Gäste und verabschiedete sich gleich wieder.
Das eben noch hysterisch ausgerastete Handy-Girl folgte ihm wie ein geprügeltes Hündchen nach oben, und ich sah sie den ganzen Abend nicht mehr. Dafür stand Caro plötzlich wieder neben mir. Sie bestellte sich einen Cocktail, lud mich auch zu einem ein, breitete ein Handtuch auf dem Barhocker aus und setzte sich neben mich.
„Und?“, fragte ich, ohne überhaupt zu wissen, was ich hören wollte.
Caro zuckte mit der Schulter. „Ganz normaler Kunde. Normales Programm – er war zufrieden.“
„Darf ich dich mal was Persönliches fragen …?“
„Klar.“
„Was denkst du, wenn du mit einem völlig fremden Mann schläfst?“
„Nichts!“
„Nichts? Gar nichts?“
„Es ist ein Job. Ich tue meine Arbeit, aber nicht mehr.“
Ich nickte, wenn ich es auch nicht wirklich nachvollziehen konnte.
„Hast du Zeit?“, fragte ein etwa 40-jähriger Türke, den elementare Höflichkeitsfloskeln nicht tangierten, der weder grüßte, noch sich daran störte, dass wir uns gerade unterhielten.
„Nein, ich bin ausgebucht!“
„Und deine blonde Kollegin?“
„Die auch!“, antworte Caro stellvertretend für mich.
„Schade“, knurrte er, „dann später!“
„Mal sehen“, antwortete Carina mit einem mehr als gekünstelten Lächeln.
„Was hast du?“, fragte ich, als er weg war und nippte an meinem Drink.
„Ach nichts. Nur wenn ich den Typ sehe … ich hasse den!“
„Wieso?“
„Weil das ein totales Dreckschwein ist!“
Wir setzten uns etwas abseits an einen Tisch und Caro begann zu erzählen.
„Er machte einen netten Eindruck und ich ging mit ihm nach oben. Ich musste mich vor ihn knien und seinen Schwanz blasen. Dann befahl er mir, ihm ein Kondom überzuziehen und ich sollte mich aufs Bett legen – auf den Rücken. Er schaute mich herablassend an, rammte mir den Schwanz rein und fasste mir an den Hals. Drückte voll zu, nannte mich dreckige Hure und bumste mich wie ein Wahnsinniger, ich bekam keine Luft und hatte Todesangst.“
Beide sahen wir zu dem Typen, der an der Bar stand und sich mit jungen Frauen unterhielt.
„Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat, mir kam es aber ewig vor. Als er fertig war, stieg er von mir runter, warf das Gummi weg und wusch sich am Waschbecken seinen Schwanz. Dann ist er wortlos gegangen.“
„Scheiß Kerl!“, gab ich ihr recht. „Passiert so was öfter?“
„Mir zuvor nicht, aber die Mädchen erzählten schon viele solche Dinge. Siehst du die Russinnen, da wo der Typ steht? Die werden in ganz Deutschland rumgeschickt, müssen in schäbigen Absteigen arbeiten, man hat ihnen die Pässe abgenommen, und sie haben kaum Rechte.“ Caro wirkte nachdenklich, in sich gekehrt. „Eigentlich gar keine Rechte. Dazu kommt, die sprechen kaum deutsch und sind auch sonst nicht die Hellsten.“
„Vom Kartoffelacker direkt hier eingeflogen.“
Caro lachte bitter. „Ja so ähnlich. In alten schrottreifen Bussen. Ihnen wurde was vom Paradies erzählt, und ehe sie sich versahen …“
„Du redest von … Zwangsprostitution?“, fragte ich vorsichtig nach und hatte im selben Moment das beklemmende Gefühl, ein Tabu verletzt zu haben.
„Ich hatte Glück … ich wurde nie vergewaltigt, wie so viele Mädchen, die ich kennen gelernt habe. Ich bin einfach nur im falschen Land geboren.“
„Du bist aus Rumänien, stimmt’s? Habe ich zumindest so aufgeschnappt.“
Caro nickte. „Ja! Ein schönes Land, aber auch leider ein sehr armes. Meine Eltern schuften sich den Arsch ab, von früh morgens bis in die Nacht. Wenn es gut läuft, richtig gut, verdienen sie 300 Euro im Monat. Und wenn sie alt sind …“ Sie atmete tief durch. „Ich bin nach Deutschland gekommen, um sie zu unterstützen.“
„Okay, ich verstehe. Aber … wie … ich meine … du musstest doch irgendeinen Plan gehabt haben?“
„Ein Mädchen aus dem Nachbardorf arbeitet in Hamburg, in einem bekannten Hotel, und sie schickte jeden Monat Geld heim. Ich schrieb ihr und sie antwortete. Eine Woche später saß ich im Zug.“
„Ziemlich mutig.“
„Ich wusste, was sie tat … und …“
Caro senkte für einen Moment den Kopf. Was ich noch im Satz zuvor als mutig bezeichnet hatte, war wohl die schwerste Entscheidung ihres Lebens. Und wohl nicht nur ihre, auch die der Tausenden von Mädchen die letztendlich gar keine Alternative hatten.
„Wann war das?“, fragte ich nach einer angemessenen Wartezeit.
„Vor drei Jahren. Ich war zwanzig und … wie gesagt …“ atmete Caro tief durch und sah mir in die Augen. „Ich hatte Glück. Ich bekam einen fairen Kontrakt … und irgendwann bin ich dann hier gelandet.“
„Ich verstehe.“
Caro beobachtete die Russinnen und wie eine von ihnen dann mit dem Typen wegging.
„Die Russinnen sind hier zwischengelagert.“
„Zwischengelagert?“
„Abgeladen … abgesetzt? Normalerweise arbeiten sie woanders.“
„Und wo?“
„Eine ganz üble Absteige. Nennt sich Flatrate-Puff. Schon mal gehört?“
„Ja, da stand was in der Zeitung.“
„Dann weißt du ja Bescheid. Die Gäste bezahlen eine Pauschale und dürfen dann mit den Mädchen machen, was sie wollen. Die können keinen ablehnen … und werden wie Vieh behandelt.“
„Ich finde die Männer krank, die dort hingehen. Ich finde, wenn eine … äh … Prostituierte …“
„Sag ruhig Hure.“
„Das ist mir zu abfällig.“
Caro lächelte. „Es ist nur ein Wort …“
„Trotzdem. Also, was ich sagen wollte … diese Pauschalpreis Bordelle gehören verboten. Das ist ein eklatanter Verstoß gegen die Menschenrechte. Und um es in aller Deutlichkeit zu sagen – Männer, die dort hingehen, sind kranke Wichser.“
Caro nickte zustimmend und beobachtete ein paar neue Gäste. „Das sind einige hier auch … aber wir müssen mit keinem Gast nach oben gehen.“
„Und genau das meine ich. Ihr könnt Nein sagen.“
„Findest du eigentlich alle Männer, die zu Huren gehen, krank?“
Ich zuckte zusammen. Da hatte Caro einen Nerv getroffen. Vor einigen Jahren hätte ich die Frage noch mit einem kräftigen „Ja!“ beantwortet. Aber das wäre zu einfach … und es wäre auch falsch.
„Nein! Absolut nicht!“, antwortete ich schnell. „Solange alles auf Gegenseitigkeit beruht, alle Verantwortlichen volljährig UND im Vollbesitz ihrer geistigen Fähigkeiten sind … es ist ein Geschäft … ich muss es nicht beurteilen … will es gar nicht … ich …“
Plötzlich lachte Caro. „Ich weiß. Jasmin erzählte, dass du sich sehr für das „wieso und warum“ interessierst und auch beide Seiten hören willst, bevor du urteilst. Ich wollte dich nur mal ein bisschen aus der Reserve locken.“ Sie legte mir ihre Hand aufs Knie und Ich schaute sie ein wenig verwundert an. „Das ist ein sehr ernstes Thema. Ich würde es gern hiermit abschließen.“
Ich nickte und streichelte über ihre Hand. „Du bist also drei Jahre in Deutschland? Dafür sprichst du unsere Sprache ausgezeichnet.“
„Vielen Dank. Manchmal fällt mir ein Wort nicht gleich ein. Und das mit diesen – der, die, das habe ich auch noch nicht richtig verstanden.“
„Das ist auch schwer. Aber noch mal – mein Respekt.“
„Danke. Ich habe mir das selbst beigebracht. Ganz wichtig, soviel wie möglich deutsch sprechen, so geht’s am einfachsten. Ich unterhalte mich gern und habe schnell rausgefunden, dass viele Gäste das auch wollen. Das ist mein Trick.“
„Sich zu unterhalten?“
„Ja, manche hier werfen sich jedem Gast gleich an den Hals. Wie geht’s? Wie heißt du? Gehen wir aufs Zimmer? Oder die Russinnen – die können oft nur – fickän oder Zimmär sagen. Ich spreche nie einen Gast an.“
„Du wartest, bis einer zu dir kommt?“
„Ja. Dann unterhalten wir uns und fast immer werde ich dann gefragt, ob ich Zeit und Lust habe.“
„Coole Taktik“, gab ich Caro recht,
„Jasmin macht das auch so, falls sie überhaupt mal an der Bar ist. Sie hat fast nur Stammkunden, und … die bekommen genau, was sie wollen, und sind ziemlich spendabel …“
„Fickie!“
Ich schaute zum Vorhang des Eingangsbereichs. Die Empfangsdame Sabine stand plötzlich da und rief noch einmal quer durch den Raum. Sofort setzte eine Völkerwanderung ein und alle „freien“ Frauen stürmten zum Portal.
„Fickie? Was geht jetzt ab?“, fragte ich irritiert.
Caro lachte laut. „Quickie! Quickie hat Sabine gesagt, aber es läuft schon auf ein ’fickie* hinaus.“
Ich nickte vorsichtshalber, schmunzelte über den Lapsus und sah sie wieder fragend an.
„Das sind Kunden, die nur schnell ficken wollen. Die suchen sich eine aus und gehen gleich aufs Zimmer.“
„Was es alles gibt?“, nickte ich und die ersten der Mädels kamen auch schon wieder in den Clubbereich zurück. Caro zuckte mit der Schulter.
„Na ja, wenn ich Nachmittagsschicht habe, und nichts los ist, dann stelle ich mich auch mit in die Reihe. Wenn’s klappt, habe ich zumindest schon die halbe Miete.“
„Wenn´s klappt, hast du die ganze Miete“, stellte ich richtig.
„Das Mysteryland ist kein Wohlfahrtsunternehmen. Ich bezahle erst mal einen Hunderter pro Schicht, damit ich hier arbeiten kann, und ein paar Prozente von jeder Nummer.“
„Hundert Euro? … Eintritt sozusagen?“
„Genau. Bekomme aber noch eine dreißiger Getränkekarte dazu.“
„So langsam verstehe ich …“
„Noch lange nicht, Anja. Aber du machst Fortschritte.“
„Hey Caro, hast du noch Wasserspülung?“, fragte die kleine Schwarzhaarige, die ich zuvor aus dem Sexkino kommen sah.
„Was willst du, Luca?“
Die Angesprochene reagierte nicht und unterhielt sich lautstark durch den ganzen Raum mit einigen Männern, die an der Bar standen.
„Ich nix Türke – ich Român – willst du mir Muschi lecken, Herbert?“
Und als ob das noch nicht genug wäre, nahm sie ihr Bein, streckte es ähnlich einer Balletttänzerin in die Höhe, und lehnte ihren Fuß über Kopfhöhe an einen Türrahmen. Die Männer grölten und Spagatkönigin Luca lachte.
„Für Hals“, wandte sie sich wieder an Caro und sagte ihr dann noch etwas auf Rumänisch.
Caro nickte und stand auf. „Bin gleich wieder da, Anja.“
„Hey Anja, du bist Liebe von Caro?“
Irritiert sah ich die Kleine an. Ihr Lächeln war süß, das ganze Mädchen wirkte ungezwungen, fröhlich und frech. „Liebe von Caro?“, fragte ich.
„Ja, liebst du Caro?“
Es dämmerte. „Wir sind Freundinnen.“
„Schon. Caro und ich auch gut Freundin.“
Caro kam zurück und sagte was zu der völlig aufgedrehten Luca. Die bedankte sich, wirbelte durch den Raum, direkt in die Arme des besagten Herbert. Der etwa 50-Jährige griff sofort in den von ihr dargebotenen Schambereich und eine Minute später waren sie auf dem Weg nach oben.
„Was wollte deine Freundin eigentlich?“, fragte ich neugierig.
„Listerine. Mundspülung mit ätherischen Ölen.“
„Okay.“
Carina beobachtete mich und schmunzelte. „Du weißt nicht wieso?“
„Ähhh … frischer Atem?“
„Desinfektion. In den Mund spritzen viele gern, und es ist ein schnell verdienter Extra-Fünfziger.“
„Autsch!“, meinte ich und verzog angewidert das Gesicht.
„Dachte ich anfangs auch, aber es gibt Schlimmeres“, antwortete Caro.
„Ja, Schlucken zum Beispiel. Da müsste ich kotzen“, sagte Jasmin, die sich mit einem Becher Latte macchiato an unseren Tisch hockte und eine Illustrierte aufschlug.
„Und, gibt’s was Neue aus der Welt der Promis?“, fragte ich.
„Das Übliche, in jeder Illustrierten steht der gleiche Mist.“
„Dieser Rapper – Bushido protzt mit über 700 Frauen geschlafen zu haben“, zitierte ich eine der Schlagzeilen.
„Schön für ihn.“
„Hier steht, er hat seit 16 Jahren Sex, 60 Frauen im Jahr – fünf im Monat“, las Caro vor, die sich dabei fast den Hals verrenkte.
„Ich bin jetzt nicht wirklich ein Rechengenie“, wand ich ein, „aber 16 mal 60 gibt – knapp Tausend.“
„Davon abgesehen, dass Männer die Zahlen eh immer nach oben beschönigen … zieh die ab, die nur mit ihm in die Kiste sind, weil er ein Promi ist …“
„… und die, die er dafür bezahlt hat“, zwinkerte ich den beiden zu.
Jasmin lachte laut. „Ich stelle mir grad sein erstauntes Gesicht vor, wenn ich ihn ansprechen und 500 Euro für einen Fick bieten würde.“
„Das würde seine Machowelt zum Einsturz bringen …“
„Und Klein-Bushido für Tage, oder Wochen lahm legen …“
***
Eine hübsche Melodie kam aus den Lautsprechern und MTV zeigte eine Sängerin mit Gitarre, auf einem Barhocker sitzend. Die junge Schottin begann zu singen „Oh the wind whistles down. The cold dark street tonight. And the people they were dancing – to the music vibe.”
„Kennst das?”, fragte Jasmin und legte die Illustrierte zur Seite.
„Klar. Von Any McDonalds – ist cool.“
„Mach mal lauter, Süße!”, rief Jasmin der Frau hinter dem Tresen zu. Wir saßen an unserem Tisch und schauten den Musikclip auf dem Großbildschirm an.
„Die Frau holt gar keine Luft“, bemerkte eines der Mädels beim Refrain.
„Das ist bestimmt nicht leicht.“
„Solange man sitzt, geht’s. Tanzen könnte man dabei sicher nicht“, bemerkte ich und sang leise mit.
„Kennst du den Text, Anja?“
„Klar! Habe irgendwie ein Talent, mir so Zeugs zu merken.“ Beim nächsten Einsatz des sich ständig wiederholenden Textes sang ich einfach drauf los.
„And you’re singing the songs. Thinking this is the life. And you wake up in the morning and your head feels twice the size. Where you gonna go? Where you gonna go? Where you gonna sl**p tonight?”
Dann musste ich aber dringend Luft holen.
„Du hast eine hübsche Stimme”, lobte mich Jasmin.
„Danke. Im Büro oder zu Hause beim Putzen singe ich eigentlich ständig vor mich hin.“
Wir warteten, bis der Song zu Ende war, als Jasmin plötzlich ihr Schminktäschchen auf den Tisch stellte.
„Hier!“, rief sie und reichte mir eine Spenderbox mit Abschminkpads. „Jetzt machen wir mal Nägel mit Köpfen.“
Die getränkten Tücher entfernten schnell die nach dem Duschen übrig gebliebenen Reste meines Make-ups. Währenddessen diskutierte sie mit Caro über mein neues Styling.
„Sorry, Mädels. Hab ich da auch ein Wort mitzureden?“
„Lass uns mal machen. Schließlich sind wir Profis“, grinste Jasmin.
„Mag sein! Aber sicherlich nicht im Schminken“, gab ich augenzwinkernd zurück.
„Nicht frech werden, sonst läufst du rum wie der Joker“, versprach Jasmin.
„Joker?“, fragte Carina.
„Ja, der Typ aus dem Batman-Film.“
„The Dark Knight. Mit Heath Ledger“, erklärte ich Caro.
„Den kenne ich, aber den Film habe ich nicht gesehen.“
„Musst du dir ansehen, Caro. Ledger spielt nicht nur den Joker, er ist der Joker.“
„Ende der Filmkritiken, Mädels. Halt still, Anja, sonst kann ich für nichts garantieren.“
Jasmin schnappte das Make-up-Set und pinselte los. Ich beobachtete im Minispiegel genau was sie tat, war jederzeit bereit einzugreifen und es zu unterbinden … aber es gefiel mir.
„Smoky Eyes“ nennen Visagisten den dunklen, verwischten Lidschatten-Kajal-Rahmen ums Auge. Das ist eine Schminktechnik, die unglaublich tiefe Blicke schenkt, weil sie einen tollen Kontrast zum Weiß des Auges schafft. Und Jasmin konnte das wirklich gut. Die großzügig verwischten Rosa-Violetttöne, nicht nur am Oberlid, sondern rund ums Auge geschminkt, hatten etwas Anrüchiges. Lipgloss rundete die Aktion ab. Kein transparenter Farbton, wie ich ihn bevorzuge, sondern Pink mit Glitzereffekt verschaffte mir einen jugendlichen, sexy Look. Jasmin hatte den Lipstick-Guide gelesen.
***
Mittlerweile war auch Jürgen wieder ansprechbar und gesellte sich zu uns. So ein bisschen als Hahn im Korb gefiel ihm die Rolle mitten unter uns Frauen.
„50 Euro Extra hat mir der Typ als Trinkgeld gegeben und will nachher noch mal aufs Zimmer“, berichtete die zurückgekehrte Luca.
„Wer?“
„Herbert heißt er. Der da hinten, mit der Brille.“
„Den kenne ich. Der ist immer großzügig, aber auch ein bisschen pervers. Kann ziemlich blöd werden, wenn es nicht so läuft, wie er es gern möchte“, meinte Jasmin.
„Das ist normal. Unsere Kunden in der Werkstatt haben auch ein Anrecht auf gute Arbeit“, sagte Jürgen augenzwinkernd.
„Du arbeitest in einer Autowerkstatt, das ist was völlig anderes“, mischte ich mich ein.
„Nicht unbedingt. Wir haben einen Hand-werks-Betrieb … außerdem wird Service bei uns auch großgeschrieben“, wusste Jürgen.
„Musst du auch die reichen alten Fregatten ficken, solange ihr Porsche auf der Hebebühne steht?“, lästerte Jasmin.
„Das macht der Juniorchef“, sagte Jürgen trocken. „Ich kümmere mich lieber um unsere jüngeren Kundinnen.“
Jasmin grinste und ich – nachdem ich es gerafft hatte – ebenfalls.
Natürlich interessierte sich Jürgen, wie ich auch, für die Hintergründe, wieso jemand auf die Idee kam, hier – in einem FKK-Club zu arbeiten. Dies fragte er auch Jasmin, aber viel zu plump und direkt, um wirklich etwas zu erfahren.
„Ich möchte nicht darüber reden, wieso und warum ich hier arbeite“, erklärte sie ihm. „Nur soviel. Niemand zwingt mich, niemand macht mit mir etwas, das ich nicht will.“
„Ist okay, Jasmin. Habe ich irgendwas Schlimmes gesagt?“
„Ich kenne deinen Blick ganz genau.“
„Ich wollte dich nicht angreifen, im Gegenteil. Du kennst ja meine Einstellung zu deinem Job. Aber … du bist mir auch keine Rechenschaft schuldig.“
„Sehe ich auch so. Lass uns von was anderem reden.“
„Ich finde, wir können das Thema schon mal anschneiden. Schließlich kennen wir uns schon ewig und wussten ja auch, wie du dein Geld verdienst“, mischte ich mich schlichtend ein.
Jasmin sah uns beide einen Moment an und nickte. „Also gut. Ich komme hier her, weil ich Geld verdienen will. Ich verdiene sehr viel Geld und habe sehr viele Stammkunden. Ich bin eine Hure und habe damit kein Problem.“
Jetzt sahen Jürgen und ich Jasmin mit großen Augen an. Sie lachte. „Seid ihr jetzt geschockt? Weil ich es offen ausspreche?“
„Geschockt nicht, vielleicht etwas … überrascht“, gab Jürgen zu.
„Ja, aber es ist halt so. Sauna-Club, FKK-Club, Begleitserviceagentur – wer sagt schon gern, dass sie im Puff anschaffen geht?“
„Und kein Mann will in einen Puff gehen, dann doch lieber in …!“
„… einen FKK-Club!“, beendete ich Jürgens Satz und wechselte das Thema. „Als wir gekommen sind, hat ein Mann nach dir gefragt. Du hast mit ihm dann Sekt getrunken.“
„Ach ja. Der Ernst. Ein Stammkunde von mir.“
„Hast du mit dem …?“
Jasmin sah mich verwundert an. „Was denkst du? Der kommt hier her, weil er Alkoholiker ist und lieber in meiner Gesellschaft trinkt? Oder mein zartes Händchen im Mondschein halten will?“
„Ist ja gut! Ich hab’s jetzt kapiert“, sagte ich etwas beleidigt und bemerkte, dass sich das Etablissement in der letzten Stunde doch reichlich mit neuen Gästen gefüllt hatte.
„Du hockst ja immer noch im Handtuch da, Anja!“, stellte Jasmin fest.
„Ist bequem.“
„Mag ja sein, aber sieht nicht gerade sexy aus. Oder was meinst du, Caro?“
Ohne eine Reaktion abzuwarten, schnappte mich Jasmin an der Hand und zog mich vom Stuhl hoch.
„Hol deine Sachen und komm mit!“, forderte sie mich auf. „Keinen Blödsinn machen, Jürgen. Wir richten jetzt deine Frau ein bisschen her.“
Ich lief zu unserem Spind, holte meine Tasche und ging mit Jasmin ins Obergeschoss. Ein untersetzter Mann im mittleren Alter folgte uns mit zwei der Russenmädchen.
„Flotter Dreier, oder was?“, fragte Jasmin die eine und zwinkerte ihr zu. Sie sprachen kaum Deutsch und lächelten nur. Ein anderer Mann kam uns mit Luca auf dem Flur entgegen. Sie zwinkerte uns zu. Es war ein eigenartiges Gefühl. Die einen werden jetzt gleich … die andern haben gerade … Während ich mir noch darüber Gedanken machte und einer Putzfrau beim Reinigen eines Appartements zusah, schloss Jasmin ihr Zimmer auf.
Alle Zimmer waren gleich aufgebaut und ähnlich eingerichtet. Ein französisches Bett, indirekte Beleuchtung, vorzugsweise in Rottönen und ein Waschbecken mit großem Spiegel.
Meine Haare waren nach dem Duschen luftgetrocknet und hatten etwas leicht Verruchtes, Wildes. Ich ließ sie ungekämmt und fuhr lediglich mit den Fingern ein paar Mal hindurch.
„Um deine Haare beneide ich dich wirklich, Anja.“ Jasmin zupfte hier und da ein wenig nach und lächelte mich an. „Was hattest du eigentlich aufgelegt? Ich habe es ja leider nicht gesehen.“
Sie lächelte, als ich von meinem Standard-Look berichtete.
„Damit siehst du goldig aus. Aber heute siehst du echt hammermäßig aus.“
Ich schmunzelte und freute mich natürlich über das Kompliment.
„Auf jetzt! Pack mal deine Sachen aus.“
Ich zog die Dessous aus der Tasche und legte die schwarzen Nylonstrümpfe daneben. Jasmin nickte zufrieden und sah mich dann fragend an.
„Was ist?“, erkundigte ich mich.
„Schuhe!“
„Schuhe?“
„Jetzt sag bloß, du hast keine High Heels mitgebracht?“
„Davon hast du nichts gesagt …“
Jasmin fasste sich an die Stirn, atmete schwer durch und lachte plötzlich los.
„Stimmt! War eindeutig mein Fehler.“
„Definitiv!“, antwortete ich und setzte den ’schimpf nicht – ich bin blond-Blick’ auf.
„Ich habe nur Rote hier, und die ziehst du ja nie und nimmer an …“, sprach Jasmin eher mit sich selbst und schnippte dann mit dem Finger. „Größe 38, richtig?“
Bevor ich antworten konnte, war sie auch schon aus dem Zimmer raus. Kaum hatte ich die Dessous angezogen, stand sie wieder da.
„Und?“, fragte sie grinsend und hielt mir die Dinger vor die Nase.
„Sehr geil, so ähnliche hat mir Jürgen mal geschenkt.“
„Kannst du darin gehen?“
„Wie eine junge Göttin.“
„Ich ahne Böses“, verzog Jasmin das Gesicht und schüttelte den Kopf.
„Soll ich die wirklich anziehen?“ fragte ich zweifelnd und zeigte auf die schwarzen Nylonstrümpfe.
„Ja absolut! Passen doch hervorragend zu deinen Dessous.“
Ich streifte die schwarzen Nylons über und Jasmin half mir, sie glatt zu ziehen. Die teuren halterlosen Strümpfe reichten fast bis an meine Pobacken. Zuletzt die High Heels. Ein wirklich atemberaubendes Design – sexy und absolut provokant. Stiletto-Plateau-Sandaletten in schwarzer Lackoptik, durchsichtiger Plateau-Sohle und Absätze, die mir ein wenig Angst machten. Trotz deren Höhe von zehn Zentimetern boten die feinen Leder-Riemchen einen sicheren Halt. Vorausgesetzt, man war schwindelfrei. Während ich die ersten Gehversuche machte, betrachtete ich mich skeptisch im Spiegel. Meine Beine wirkten noch eine Spur schlanker und ellenlang. Auch stellte ich mich nicht gar so tollpatschig an und Jasmin gab mir einige nützliche Tipps im sicheren Umgang mit den „Fick-mich-Schuhen“.
„Das hat nicht mehr viel Ähnlichkeit mit der alten Anja. Ich finde du siehst fantastisch aus, Süße.“
Ich verzog ein wenig den Mund. Wog den Kopf hin und her, fühlte mich irgendwie unnatürlich. Meine Einwände wurden aber sofort abgeblockt..
„Du mal wieder. Süße, du musst lockerer und selbstbewusster werden, und jetzt amüsieren wir uns. Deswegen bist du doch hergekommen. Wenn dich einer anspricht, sagst du ihm, dass nichts unter 500 Euro läuft.“
„Und wenn er dann – ja sagt?“
„Fickst halt mit ihm!“, meinte Jasmin trocken. Wir verließen das Zimmer und ich stutzte, als uns ein vertrautes Gesicht auf dem Gang entgegenkam.
„Luca ist die Quoten-Queen hier“, erklärte mir Jasmin. „Jung, frech und hemmungslos. Auf die fahren viele ab.“
„Wie viel sind denn viele? Ich meine so pro Schicht?“
„Hmm? Wenn ich ehrlich bin … Also so um die sieben, acht pro Schicht sind okay. Luca hat an den Wochenenden – so zwanzig, fünfundzwanzig.“
„Fünfundzwanzig Männer? Die macht es am Tag mit fünf…und…zwan…zig Männern?“, fragte ich fassungslos.
„Ja! Kommt vor. Luca macht für Geld einfach alles.“
Ich drehte mich am Ende des Gangs noch mal um, und schaute auf die geschlossene Tür, wo die 19-Jährige mit ihrem nächsten Freier verschwunden war.
„Stell dir vor, du seiest ein Supermodel auf dem Catwalk.“
Ich drückte ein wenig die Brust raus, zog das Kreuz gerade und wackelte mit dem Po.
„Ja genau, Süße. Das sieht schon ganz gut aus.“
„Danke. Ich würde auf dem Laufsteg für Furore sorgen, und zwar dadurch, dass es mich garantiert von den Brettern haut …“, meinte ich augenzwinkernd.
„Das ist egal. Immer schön lächeln dabei – und du wärst in allen Nachrichten …“
Vorsichtig „kletterte“ ich die Treppenstufen herunter und fühlte mich von Schritt zu Schritt sicherer.
„Da seid ihr ja endlich“, meinte Jürgen, rutschte vom Barhocker und nahm mich in den Arm. „Siehst supersexy aus, Anja.“
„Danke. Nicht ein wenig – nuttig?“
„Sexy! Provokant und dennoch mit Stil. Mir gefällt’s.“
„Nuttig?“
Er grinste. „Ein bisschen schon.“
„Gut!“
Caro hörte schmunzelnd zu. „Es scheint Jürgen sehr zu gefallen, ich find’s auch toll.“
„Du weißt doch, Frauen machen sich nicht für Männer hübsch, sondern um andere Frauen zu ärgern”, erklärte ich ihr augenzwinkernd. Wir alberten eine Weile herum. Caros 19-jährige Kollegin tauchte wieder auf, fasste sich beiläufig zwischen die Beine und stöhnte wehklagend. „Mein Pussy mude. Mussen Pause machen.“
***
Ein paar der jungen Russinnen hüpften auf der kleinen Bühne herum. Eine kreisförmige Holzkonstruktion, vielleicht zwei Meter im Durchmesser, mit einer Spiegelsäule in der Mitte. Eine chromfarbene „Striptease-Stange“ fehlte auch nicht. Ich schmunzelte bei dem unfreiwillig komisch wirkenden Versuch von Miss Wolga Doppel D sich daran grazil zu bewegen. Aber ihr Engagement zahlte sich aus, weil sie kurz darauf mit einem Gast nach oben verschwand.
„Kanne du besser?“, fragte Luca und grinste frech.
„Ein Kartoffelsack kann das besser!“
Sie sah mich mit ihren unschuldigen Augen an. Caro übersetzte das ihr unbekannte Wort und sie redeten kurz auf Rumänisch miteinander.
„Wir würden dich gern tanzen sehen.“
„Ja komm Süße! Heiz die Stimmung mal ein bisschen auf“, mischte sich jetzt auch noch Jasmin ein. „Was für ein Lied soll dabei laufen?“
Warum eigentlich nicht?
„Hmm, ich hätte da eine Idee …“
Die Musik war mittlerweile richtig laut. Das Rondell mit der Spiegelsäule diente mir als Bühne. Es war ausreichend Platz, darauf zu wandeln, und die harte, rutschfeste Unterlage tat ein Übriges.
Die High Heels betonten natürlich meine Beine, sahen auch heiß aus. Sie hatten etwas leicht Verruchtes, etwas das sexy aussah – und mein Selbstbewusstsein steigerte. Sie waren irgendwie der letzte Kick.
„Gefall‘ ich dir?“
Meine Augen waren auf meinen Mann fixiert und im Unterbewusstsein spürte ich die Blicke der anderen Männer. Die High Heels klackten bei jedem Schritt auf der harten Oberfläche. Langsam begann ich, mich im Klang der Musik zu bewegen. Jürgen sah mir neugierig zu, begann dann zu lächeln und musterte mich mit begierigen Blicken.
Ich will. Ich will, dass ihr mir vertraut.
Ich will. Ich will, dass ihr mir glaubt.
Ich will. Ich will, eure Blicke spüren.
Ich will. Ich will, jeden Herzschlag kontrollieren.
Ich will. Ich will, eure Stimmen hören.
Ich will. Ich will, die Ruhe stören.
Ich will. Ich will, dass ihr mich gut seht.
Ich will. Ich will, dass ihr mich versteht.
Der Rammstein-Song zog mich in seinen Bann. Jede Silbe, die Till Lindemann in seiner unverkennbaren Art sang, durchdrang mich. Jede Zeile kannte ich auswendig. Andächtig wippte und kreiste ich mit dem Becken, spürte, dass die anerzogene Scham mal wieder mein Handeln bestimmen wollte.
Leicht verlegen lächelte ich Jürgen an, atmete langsam aus und schloss kurz die Augen. Nach Bildern suchte ich – Bilder, die mir den noch fehlenden, entscheidenden Kick geben sollten. Die Blicke der fremden Männer, die mir zusahen. Gierige, lüsterne Blicke … die mich wollten, nur mich … Das musste ich nur in meinen Sinn projizieren. Den Hebel umlegen. Es war in diesem Moment so einfach, es ist dieses bestimmte Gefühl – der Kick – und plötzlich durchströmte es mich.
Und da waren sie, die Bilder. Die vielen Situationen, in denen es mir Spaß machte, Männer zu provozieren, sie verrückt zu machen. In der Sauna, am See, beim Tanzen – die Begierde in ihren Augen …
„Nur anschauen, nicht anfassen“, wie es in einem bekannten Bierwerbespot hieß. Die Blicke der Fremden waren mein Feedback. Mein Sinn leitete die Gedanken durch meine Nervenbahnen und der Song sorgte für den Rest.
Ich will. Ich will, eure Fantasie.
Ich will. Ich will, eure Energie.
Ich will. Ich will, eure Hände sehen.
Ich will. Ich will, in Beifall untergehen.
Mein wichtigstes Sexualorgan – die Fantasie, formte aus den Bildern Lust. Ich spürte, wie die Erregung aus meinem Kopf in tiefere Gefilde glitt und ich auch physisch in den Zustand kam, den ich erreichen wollte.
Ich öffnete wieder die Augen. Langsam schritt ich um den Säulenspiegel und ließ meinen Mann nicht aus den Augen. Jede meiner Bewegungen, jede Faser meines Körpers schien er förmlich in sich aufzusaugen. Die Scham war verschwunden und auch mein verlegenes Lächeln.
Seht ihr mich?
Versteht ihr mich?
Fühlt ihr mich?
Hört ihr mich?
Ich streckte ein Bein aus, strich sanft über die Nylons und genoss das Kribbeln. Lasziv tanzte ich um die Spiegelsäule. Mit den gespreizten Fingern streichelte ich meinen Busen, den Bauch und meinen Po. Dabei ließ ich Jürgen nicht aus den Augen und beobachtete, wie sein Blick meinen Fingerspitzen folgte.
Könnt ihr mich hören? … Wir hören dich!
Könnt ihr mich sehen? … Wir sehen dich!
Könnt ihr mich fühlen? … Wir fühlen dich!
Ich versteh euch nicht.
Langsam zog ich den teuren Seiden-Stringtanga tief in den Schritt, streckte meinen Unterleib etwas vor und ließ ihn meine Gedanken ausleben. Ich hielt unbewusst den Atem an und ein weiterer erregender Schub durchflutete mich. Schlagartig wurde mir bewusst, dass die ganze Show nicht nur dem Vergnügen meines Mannes diente. Nein – es war meine Show. Jetzt ging es nur noch um mich. Sein süffisantes Grinsen zeigte mir, das er es wohl ebenso sah.
Wir wollen, dass ihr uns vertraut.
Wir wollen, dass ihr uns alles glaubt.
Wir wollen eure Hände sehen.
Wir wollen in Beifall untergehen.
Wie in Trance griff ich an die chromfarbene Stange und räkelte mich daran. Ging lasziv in die Hocke und langsam wieder nach oben. Ich hielt mich an der Stange fest, ließ mein Körper nach hinten kippen und rieb das Metall zwischen meinen Beinen. Das Kribbeln verstärkte meine sinnliche Erregung um ein Vielfaches. Provozierend wackelte ich mit der Hüfte und setzte meinen Po geschickt ein … das Zentrum der Begierde … bei allen Männern.
Könnt ihr mich hören? … Wir hören dich.
Könnt ihr mich sehen? … Wir sehen dich.
Könnt ihr mich fühlen? … Wir fühlen dich.
Ich versteh euch nicht.
Ich schüttelte den Kopf und ließ dabei meine langen Haare wirbeln. Ein gezielter Fingerschnipp … und der Verschluss meines BHs war offen. Nur durch die leichte, laszive Bewegung meines Oberkörpers ließ ich die Träger von der Schulter rutschen, und das Oberteil glitt zu Boden. Ich fasste meinen Busen, drückte die Brüste zusammen und tanzte weiter um die Stange. Ein Mann kam auf mich zu und wedelte mit einem Geldschein. Seine Clique grölte und feuerte ihn an. Langsam tänzelte ich auf ihn zu. Er schob den Schein unter die seitlichen Bändel des Tangas und grinste zufrieden. Ein paar seiner Freunde folgten seinem Beispiel. Wieder zog ich das Höschen leicht hoch, sodass sich mein Schritt aufreizend abzeichnete … Ein paar anrüchige, rhythmische Bewegungen, ein wenig einen Geschlechtsakt andeutend, und dann genau die richtige Stelle gegen die glatte Chromoberfläche der Stange gedrückt …
Könnt ihr uns hören? … Wir hören euch.
Könnt ihr uns sehen? … Wir sehen euch.
Könnt ihr uns fühlen? … Wir fühlen euch.
Wir verstehen euch nicht.
Das Lied war zu Ende.
Die Impulse in meinem Kopf schwenkten in eine ganz andere Richtung. Das tiefe innere Gefühl schwand. Den Dancefloor-Hit nahm ich nur unterbewusst wahr. Der schnelle Beat regte zum Tanzen an, machte auch weiterhin Spaß, ergriff aber keinen Besitz mehr von mir. Viele der Gäste klatschten den Rhythmus mit, oder wippten mit dem Oberkörper. Die Clique der Südeuropäer wechselte Geld beim Empfang und stand fast Schlange, mir die Euroscheine ins Höschen zu stecken. Hin und wieder tätschelte einer meinen Po oder strich über die Oberschenkel. Ein anderer kam näher, rief mir etwas zu, was ich aber nicht verstand. Ich beugte mich zu ihm runter, er wiederholte sein Angebot und ich schüttelte nur grinsend den Kopf.
No way! Er verdoppelte sein Angebot, aber das war mir egal. Dennoch hinterließ es ein seltsames Verlangen. Etwas zu tun, das im Grunde verrucht und böse war, das eine Lady auch nie nur in Erwägung ziehen würde, weil es sich einfach nicht gehört.
Weil es sich ja auch gehört, Oben-ohne in einem FKK-Club auf einer Bühne zu tanzen? Binnen weniger Sekunden schossen frivole Gedanken durch meinen Kopf. Sie sorgten dafür, dass mein rationales Denken, soweit noch vorhanden, nun völlig aussetzte. Ich schaute zu Jürgen, der neben Caro und Jasmin stand und sich offensichtlich bestens amüsierte.
Der Südländer nickte mir zu, wedelte mit dem Schein und ich grinste breit. Ja, wieso nicht. Wenn nicht hier und jetzt, wann dann? Ich spürte, wie mich der Gedanke erregte. Fast schon beherrschte. Langsam zog ich einen der seitlich steckenden Geldscheine heraus und steckte ihn in den Ansatz der halterlosen Strümpfe. Zwei Typen sprangen von den Barhockern und halfen mir. Ich räkelte mich wie eine Schlangenbeschwörerin vor ihnen und sie ließen sich auffallend viel Zeit. Als alle Scheine ihren ursprünglichen Platz hinter den dünnen Bändchen des Strings gegen den in den Strümpfen getauscht hatten, war es so weit. Mein Herzschlag erhöhte sich, aber noch fehlte ein klitzekleiner Schub. Ich winkte den Rädelsführer heran und er schob mir den großen Geldschein zu den anderen. Ich flüsterte ihm etwas zu und seine Augen leuchteten auf. Langsam und immer noch verführerisch tanzend drehte ich mich um. Seine Hände betatschten meinen Po und seine Finger fuhren unter die seitlichen Bändel.
Sanft zog er gleichmäßig daran, und der Stringtanga rutschte nach unten. Er streifte ihn über meine Kniekehlen bis an die Fußknöchel und verkünstelte sich fast, ihn über die High Heels zu streifen.
Langsam drehte ich mich wieder zu ihm um. Mit den Handflächen verdeckte ich meinen Schritt, berührte meine Scham und ließ meine Hände kreisen. Schon leicht unverschämt grinsend starrte er mir zwischen die Beine. Eine Mischung aus Scham, Lust und Geilheit durchströmte mich. Jedes Augenpaar war auf einen bestimmten Punkt konzentriert, und unendlich lange brauchten meine Muskeln, um den Gehirnimpuls umzusetzen. Schließlich zog ich beide Hände weg, streckte meine Arme nach oben und tanzte und drehte mich wieder zum Beat der Musik. Adrenalin jagte durch meinen Körper, verscheuchte jedes Gefühl von Scham und produzierte Milliarden von Endorphinen.
Ich tänzelte zum Rand der Rundbühne, wo die Südländer versammelt waren, griff die Stange und glitt, mit dem Po wackelnd, in die Hocke. Provozierend spreizte ich die Beine und genoss ihr enttäuschtes Murren, weil sie nur meinen Handrücken sahen. Ich spielte mit ihnen, ich heizte sie auf, und – trotz eigener Euphorie – hätte ich es als allzu billig empfunden, mir bis zum Hals schauen zu lassen. Stehend tanzte ich wieder ohne „Sichtschutz“ und vollzog dabei provozierende, eindeutige Bewegungen gegen die Stange. Allerdings hielt ich angemessenen Abstand und berührte das Metall nicht mit meiner …
Der Song endete, es war genug, und ich verbeugte mich artig vor meinem Publikum. Ich schnappte mein Oberteil und suchte den Tanga. Die Mädchen witterten jetzt ihre Chance und sprachen die stimulierten Zuschauer an. Nicht wenige verschwanden kurz darauf in die Zimmer im Obergeschoss.
Jasmin half mir vom Podest.
„Geil, Süße! Das war richtig gut.“
Jürgens Hand klatschte auf meinen Hintern, was wohl dieselbe Aussagekraft wie Jasmins Kompliment haben sollte. Ich zog die Scheine aus den Nylons, sortierte sie und reichte sie Jasmin.
„Das ist deine Kohle, Süße. Hast du verdient!“
„Nee, das geht nicht. Ich bin … kann doch nicht …“
„Doch! Steck’s ein, das geht in Ordnung.“
Ein Geschäftsführer, im Gegensatz zu allen anderen Männern hier nicht mit einem Handtuch um die Hüfte, sondern im dunklen sportlichen Outfit, nickte mir zu. Sein Lächeln war – irgendwie nett. Nur die protzigen Goldketten um Hals und Handgelenk wirkten deplatziert.
„Anja, Jasmins Freundin, stimmt’s?“ Sein Lächeln wurde breiter und völlig ungeniert musterte er mich von den High Heels aufwärts mit kurzem Verweilen an bestimmten Stellen. Schlagartig wurde mir dabei bewusst, dass mein einziges Kleidungsstück der BH war, und den hielt ich auch noch in der Hand …
„Wenn du Kohle brauchst, kannst du jederzeit hier anfangen.“ Er nickte, reichte Jürgen die Hand und zwinkerte ihm zu. „Nichts für ungut, ich wäre ein schlechter Manager, wenn ich so einem heißen Feger kein Angebot unterbreiten würde.“
Er verabschiedete sich und ging zu einer Gruppe neuer Gäste, die scheinbar Stammkunden waren.
„Wo ist eigentlich mein Höschen?“, fragte ich Jürgen.
Der zuckte nur mit der Schulter, und auch Caro und Jasmin wussten es nicht. Ich schaute mich um, und da sah ich ihn. Mein Tanga steckte als Trophäe hinter dem Saum des Handtuchs eines der Südländer. Ich ging auf ihn zu, die ersten Schritte noch hoch konzentriert, dann mit dem Versuch, lässig und cool zu wirken. Wie ein Bauerntrampel stolperte ich und – kippte nach vorn, direkt in seine Arme.
„Baby! Was machst du denn? Wenn du mit mir aufs Zimmer willst, hätte auch eine Frage genügt.“
Ich grinste und zeigte auf mein Höschen.
„Baby? Den habe ich gekauft! Was gibst du mir, wenn ich ihn dir wiedergebe?“
Ich drängte mich an ihn, kam ganz nah an seine Wange und flüsterte: „Ich lasse dir die Illusion, dass du dich mal mit mir vergnügen kannst.“
Dabei griff ich an sein Handtuch, zog meinen Tanga heraus und küsste ihn auf die Wange. Er grinste breit und ließ es sich nicht nehmen, mir noch einen Klaps auf den Po zu geben.
Mehr oder weniger geschickt glich ich den schwankenden Boden aus und schaffte nach anfänglicher Schwierigkeit mein Gleichgewicht zu halten. Wer hatte eigentlich solche Schuhe erfunden?
***
„Rauchen wir eine?“, fragte ich Jasmin. Jürgen verzog alleine bei der Vorstellung, sich dem Mief auszusetzen, die Nase – und Caro war auf einmal verschwunden. Jasmin nickte einem graumelierten Mann zu, der sich langsam vom Barhocker erhob.
„Geht leider nicht, Süße. Ich muss noch ein bisschen arbeiten. Aber Caro ist eben ins Kino gegangen.“
Ich schnappte meine Lucky Strikes und betrat das kleine Kino. Caro war wirklich da und unterhielt sich mit einem kräftigen Typen in meinem Alter. Ihr gegenüber war der letzte freie Platz und zwei Männer rückten zur Seite.
„Hier ist noch Platz.“
Ich setzte mich, einer gab mir Feuer und ich blies den Rauch in die Luft. Die beiden Typen waren ganz nett, und wir unterhielten uns … über Belanglosigkeiten, Small Talk. Unbewusst sah ich immer wieder zu Caro. Ihr Begleiter hatte sich mittlerweile auf die Seite gelegt und sie war nahe an ihn herangerückt. Dabei zeigte sie ihre hübsche Rückseite, und gerade der verlängerte Rücken zog die Blicke an.
„Ihr Arsch ist der Hammer“, meinte mein Sitznachbar zu seinem Kumpel, der mit offenem Mund nickte.
Für mich war eher die komplette Situation der Hammer. Anderen Menschen beim Sex zuzusehen, wird in der Regel überbewertet. Am Baggersee habe ich es schon gesehen, wenn auch nur flüchtig. Oder im Außenbereich der Sauna, als sie in eindeutiger Pose vor ihm kniete … aber, das waren alles Fremde.
Bei Bekannten war es immer etwas anderes, irgendwie prickelnd. Als wir vor ein paar Jahren mit der Clique zelten waren – vier Pärchen, in einer regnerischen Sommernacht im Fünfmannzelt. Gelacht, Blödsinn gemacht und frivole Gespräche geführt. Nach und nach huschte jeder unter die Decke. Allerdings war es dort dunkel, und die Schlafsäcke boten mit dem schwachen Dämmerlicht genügend Sichtschutz. Das Geile war aber, jeder wusste, was die anderen da trieben und dennoch war’s für alle okay. Die schöne, unbekümmerte Jugend.
Dieses Prickeln machte sich aber auch jetzt breit. Ich zog an der Zigarette und beobachtete, wie Caros Hand über die Oberschenkel des Mannes strich, kurz verweilte und an den Innenschenkeln wieder zurück wanderte. Wie es auf ihn wirkte, stand zweifelsohne für alle sichtbar im Raum. Sie stand auf. Im selben Moment kam Jürgen ins Kino, der sich wohl schon Gedanken über den Zeitrahmen einer Zigarettenlänge gemacht hatte. Caro rannte ihn fast um. Die beiden lachten und ich winkte meinen Mann zu mir.
„Schatz, gefällt’s dir in der Räucherkammer oder …“
Ich zog ihn einfach zu mir, legte ihm den Zeigefinger auf den Mund und vernahm mit einem leichten Kribbeln, wie Caro den Vorhang vor dem Eingang des Sexkinos zuzog. Sie legte sich wieder neben ihren Kunden, griff ihm diesmal aber gleich direkt zwischen die Beine. Jürgen war über den Hintergrund eines zugezogenen Vorhangs nicht informiert, verstand es dann aber mit seinem männlichen Denkmuster sofort.
Er stellte Fragen, die ich aber nur unterschwellig wahrnahm. Genervt sah ich ihn an. Glücklicherweise verstand er es und war dann still. Ein anderes Mädchen informierte einen Kunden über ihr Dienstleistungsangebot. Ein weiterer Mann hörte dabei zu und schielte nebenbei zu Caro. Ich und Jürgen waren mittlerweile etwas zurückgerobbt und beobachteten das Geschehen um uns herum. Der Riese fummelte nun ebenso an der zierlichen Carina und ich schaute in sein Gesicht. Er lächelte mir kurz zu. Runder Kopf, kurze lichte Haare und sanfte Augen. Er drehte seinen Körper und legte sich wieder auf den Rücken. Die Plauze stand empor, war aber nicht schwabbelig. Sein gesamter Körper war mit dunklen Haaren übersät. Wie ein Bär. Und wie ein Bär stöhnte er auf, als Caro sich mit dem Mund um den kleinen Bären kümmerte.
Von meiner Position aus konnte ich alles sehen. Ihr Mund saugte an seiner Eichel, während er sie gierig befummelte. Es faszinierte mich auf die gleiche Weise, wie es mich abstieß. Nach einer Weile drückte er Caro zur Seite und richtete sich auf. Sie lag auf dem Rücken und er kniete zwischen ihren gespreizten Beinen. War sie während des Blasens noch eher cool und zurückhaltend, so zeigte die Zunge des Bären wohl einige Wirkung. Das brachte dann auch den Dicken noch mehr in Stimmung und er gab ihr ein Zeichen.
Sie biss in die Folie des verschweißten Kondoms und rollte den Inhalt geschickt über seinen vorgesehenen Platz. Der Dicke legte sich auf sie und begann gleich mit kräftigen Stößen. Ich zündete mir noch eine Zigarette an und hatte ein wenig Angst, dass er Caro mit seinem Gewicht erdrücken könnte.
Neugierig schaute ich zu Jürgen, der sichtlich bemüht war, nicht zu offensichtlich hinzustarren. Ich grinste. Auch die anderen Männer im Kino sahen sich das seltene Schauspiel an. Als ich an meiner Zigarette zog, bemerkte ich, dass meine Hand leicht zitterte. Der Hüne lag immer noch auf der zarten Caro und poppte sie mit immer mehr Intensität. Als es ihr zu arg wurde, änderte er seine Position. Er kniete vor ihr, packte sie an den Knöcheln und hob ihre Beine weit auseinander. Wieder, und immer wieder rammte er ihr sein Glied rein.
Der Schweiß rann an seiner Schläfe entlang und grunzende Laute entsprangen seinen Lippen. Er packte Caro an der Taille, hob sie ein wenig vom Sofa hoch und wurde immer schneller. Ein lang anhaltendes Stöhnen begleitete seinen Höhepunkt. Er wurde schlagartig wieder langsam, zuckte noch ein paar Mal mit seinem Becken und ließ sich dann einfach zur Seite fallen. Erschöpft rang er nach Luft.
Caro stand auf und griff zu einer Rolle Papiertücher. Sie kniete neben dem schnaubenden Dicken, zog mit dem Kleenex das Kondom runter und säuberte sein Glied mit weiteren Tüchern. Der Bär lächelte zufrieden und die beiden verließen das Kino.
Ich sah mich um, Carinas Kollegin verhandelte noch mit einem der anderen Gäste über ein entsprechendes Arrangement und ihre Hand, die unter seinem Handtuch eindeutige Bewegungen vollzog, unterstütze sie dabei.
„Lass uns aufs Zimmer gehen!“, gab er endlich nach, und sie freute sich. Während die beiden den kleinen Raum verließen, kamen zwei weitere Mädchen in Begleitung herein. Sie nahmen den Platz ein, wo kurz zuvor Caro gelegen hatte. Ein Typ mit Bierglas und Zigarettenschachtel in der Hand schaffte es gerade noch, Platz zu nehmen, bevor der Vorhang wieder zugezogen wurde.
Die Männer waren eindeutig orientalischer Abstammung und unterhielten sich in arabischer Sprache, während die Frauen vor ihnen knieten und den Freuden der oralen Kunst frönten.
Jürgens und meine Blicke trafen sich. Merkwürdige Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich hatte noch nie zuvor gesehen, dass es eine Frau für Geld mit einem Typen treibt.
Ein neuer Impuls ergriff mich. Es war eigentlich die Situation von vorhin, die mich urplötzlich wieder ergriff. Vor wenigen Minuten hatte ich splitternackt vor fremden Männern getanzt – vor Männern, die mich mit seidig glänzenden Augen anstarrten, und deren Gedanken ich mir nur zu gut vorstellen konnte.
Salopp gesagt, wurde ich binnen weniger Sekunden feucht. Ich griff an den Bund meines Tangas und streifte ihn einfach runter. Jürgen grinste, als ich kurz vor seinem Gesicht damit herumfuchtelte. Ich legte mich auf den Rücken, räkelte mich vor ihm, und er begriff sofort, was ich wollte.
Und er wollte es ebenso.
Das Vorspiel war durch die visuellen Eindrücke längst abgeschlossen, und dass wir nicht alleine waren, interessierte uns auch nicht mehr. Jürgen kniete sich vor mich und rieb sein steifes Glied zwischen meinen Beinen. Das machte er ein paar Mal, und als er es ansetzte und in mich eindrang, kämpfte ich schon gegen die wie ein kurz vor der Explosion stehendes Pulverfass angestauten Gefühle. Natürlich merkte er das, und es bereitete ihm höllischen Spaß, an der Lunte zu zündeln. Ich wand mich schon nach dem vierten oder fünften Stoß und krallte meine Fingernägel in das Polster. Er ließ mir die Zeit, die ich benötigte, um wieder etwas runterzukommen und setzte dann sein Spiel mit der gleichen Intensität fort. Es dauerte nur kurz, bis ich zum zweiten Mal kam.
„Nicht in mich!“, flehte ich Jürgen an, und in wirklich letzter Sekunde zog er seinen Freund heraus. Er zuckte schon heftig, und mit der Hand besorgte ich den Rest. Es machte mich wahnsinnig an, ihm dabei ins Gesicht zu sehen.
Nebeneinander liegend wurden die Umrisse des kleinen Sexkinos wieder sichtbar. Die beiden Araber ließen sich immer noch einen blasen und sahen den Frauen dabei zu. Dem Bier trinkenden Raucher fielen fast die Augen aus dem Kopf, seinen Besuch im Club wird er wohl nicht so schnell vergessen. Ich schnappte mir eine der Papierrollen und beseitigte akribisch die Spuren unserer Session. Glücklich und zufrieden schlenderten wir Händchen haltend aus dem Raum.
„Machst du noch einen Saunagang mit?“
Für diese Frage hatte ich nur einen strengen, bösen Blick übrig, den der gnädige Herr dann auch verstand. „Jetzt schau nicht so, mein kleiner Vamp.“ Er küsste mich auf den Mund und ließ mich einfach stehen. „Du weißt Bescheid Anja – nicht unter 500 Euro.“
***
„Bisschen viel oder nicht?“, fragte mich ein Typ, der an der Bar hockte und ein Bier trank.
„Wie bitte?“
„Na ja, üblich sind hier 50 Euro für eine halbe Stunde“, meinte er.
„Ich bin jeden Cent wert!“, erklärte ich ihm ernst.
„Das will ich gern glauben, auch wenn es nur hypothetisch ist.“ Er zwinkerte mir zu. „Ich kenne Jasmin gut und weiß Bescheid … aber, auf einen Drink darf ich dich doch einladen?“
Ich zuckte mit der Schulter und sah ihn mir genauer an. Auf Anfang vierzig schätzte ich ihn, er hatte die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und Tattoos auf den Oberarmen. Er machte nicht den Eindruck vieler der Fummler hier, die an der Bar Mädchen angrapschten – und da ich eh etwas trinken wollte …
„Cola mit Eiswürfeln wäre nett. Ich bin übrigens Anja.“
„Marco! Hübscher Name, Anja.“
„Danke. Bist du öfter hier?“
„Ab und zu. Ich unterhalte mich gern mit den Mädchen und mach meine zwei, drei Saunagänge. Und wie ist dein Eindruck über den Club?“
„Hätte nicht gedacht, dass so viel los ist!“, meinte ich.
„Am Wochenende eigentlich normal.“
„Und du bist halt hier, weil du gern in die Sauna gehst und mit Mädels plauderst?“, fragte ich leicht provozierend nach. Er lachte und trank einen Schluck.
„Mit dem Vorsatz komme ich her, aber wenn sich was ergibt, dann ist es auch okay.“
„Und wie ergibt sich so was?“, wurde ich neugierig. „Ich meine, worauf legst du Wert?“
„Ich brauche auf jeden Fall eine Aufwärmphase. Vorher will ich ein wenig reden und schauen, ob die Chemie stimmt. Viele hier, mit denen ich nicht nach zwei Minuten aufs Zimmer wollte, würdigten mich den Abend über keines Blickes mehr. Das merke ich mir dann, fürs nächste Mal.“
„Ich habe beide Varianten beobachtet. Auch Männer, die einfach zu einer hin sind und dann gleich nach oben.“
„Sicherlich, man kann es nicht verallgemeinern. Was mich aber wirklich reizt, sind die Frauen, die hier nur nebenher arbeiten.“
„Du meinst, die unter der Woche in normalen Jobs arbeiten und am Wochenende ein paar Euro dazuverdienen?“
„Ja genau. Die sind auch meistens der deutschen Sprache mächtig, was die Voraussetzung für eine gepflegte Unterhaltung ist.“
Wir bestellten beim Barkeeper noch einmal dasselbe und mir fiel der Ring an Marcos Finger auf. Er bemerkte es und spielte einen Moment an dem Edelmetall. „Ich bin seit achtzehn Jahren verheiratet …“ Marco sah mich ernst an und ich ihn. „Ich liebe sie wirklich! Das wirst du wahrscheinlich nicht verstehen, aber …“
„Okay. Ich verstehe es wirklich nicht. Aber … vielleicht kannst du mir ja deine Gründe verraten?“
„Interessieren die dich wirklich?“, fragte er erstaunt.
„Ich werde mit Sicherheit nicht mit dem moralischen Zeigefinger auf dich zeigen, und … ich werde es wahrscheinlich auch nicht wirklich nachvollziehen können … aber auch ich bin verheiratet und Männer ticken nun mal etwas anders als wir.“
Er lächelte. „Setzen wir uns da vorne auf die Couch, da ist die Musik etwas leiser …?“
Das Sofa stand etwas abseits des Trubels, und ich war einverstanden.
Wir machten es uns bequem, und Marco erzählte von seinem Doppelleben. Ich war mir sicher, dass er seine Familie wirklich über alles liebte. Auch sein sexuelles Verlangen erschien mir nicht überdurchschnittlich.
„Und deine Frau hat keine Lust mehr?“
„Das kann man so nicht sagen. Angefangen hat es, als sie im Gästezimmer schlief. Ich schnarche wohl ziemlich stark und sie hat einen ganz leichten Schlaf. Erst war es sporadisch, dann aber regelmäßig und heute ist es der Normalzustand. Wenn wir dann am Wochenende ins Schlafzimmer gehen …“ Er hielt kurz inne und überlegte. „Das ist nicht wie früher, es ist so … als ob man eine Pflicht zu erfüllen hätte. Verstehst du?“
„Es gibt ja auch noch andere Zeiten, als spät abends oder immer im Schlafzimmer.“
„Das stimmt. Aber wir arbeiten die ganze Woche, dann die privaten Verpflichtungen … die Kinder … da kommt eins zum anderen. Meine Frau liebt Sex sogar, aber sie ist leider kein bisschen spontan oder experimentierfreudig.“
Während ich mir seine Worte durch den Sinn gehen ließ, bemerkte ich den gegenüber stehenden Spielautomaten. Die Blonde zockte wohl lieber, als sich um Kundschaft zu bemühen. „Und deswegen kommst du hier in den Club?“
„Wir haben immer noch ein Sexleben, aber es ist wie ein … Zwang. So alle zwei, drei Monate zieht es mich hierher.“ Er zuckte mit der Schulter. „Ich weiß, es ist Betrug. Ich versuche, es mir immer schön zu reden …“
„Schönreden?“
„Ja! Ich sag‘ mir, ich will meine Frau ja nicht betrügen. Also ich würde nie eine Affäre beginnen … aber ich brauche mehr Sex, als sie mir bietet und … es sich selbst zu machen ist eine Option, aber … und deswegen suche ich mir hier Inspirationen für meine Fantasie …“
Marco war irritiert, als ich plötzlich schmunzeln musste.
„Ich dachte mir, dass du das nicht verstehst …“
„Ich habe einen Freund, einen Kumpel, mit dem ich auch schon über das Thema diskutiert habe. Ja, ich kann es nicht wirklich nachvollziehen, das gebe ich zu, aber ich verurteile dich nicht. Ich kann mir – in etwa zumindest – deinen inneren Kampf vorstellen und … ehrlich gesagt … möchte ich nicht in deiner Haut stecken.“
„Danke für dein Verständnis. Ich erwarte nicht, dass man mir recht gibt, oder es gutheißt. Ich muss damit leben. Aber oft gehe ich, ohne mit einer auf dem Zimmer gewesen zu sein …“
„Und woran liegt das? Wegen der Kohle oder …?“
„Nicht einmal. Wenn ich herkomme, dann habe ich auch einen Fuffi, den ich ausgeben kann. Die Mädchen hier sind recht fair, man muss halt vorher besprechen, was sie machen und was eben nicht.“
Da ich Marco im Verlauf des Gesprächs genau studiert hatte, seinen Blicken folgte … war es mir dann auf einmal klar. Er war auf schlanke Frauen fixiert. Er lächelte, als ich ihn damit konfrontierte.
„Ja! Das ist mein Fetisch. Schlank, sportliche Figur. Wenn möglich lange Haare und … sie darf nicht abgezockt sein?“
„Definiere abgezockt.“
„Ja, so profimäßig halt. Natürlich, normal halt. Mir gefällt hier vor allem, dass es so halb amateurhaft zugeht. Und weil es relativ klein ist, bekommt man gut Kontakt zu den anderen Gästen und kann sich unterhalten. Erfahrungen austauschen und so.“
„Ich weiß von Jasmin, dass viele Männer versuchen, Zeit zu schinden, oder plötzlich Dinge wollen, die im Grundpreis nicht enthalten sind. Und dafür nicht extra bezahlen wollen.“
Marco riss seine Arme hoch und formte mit seinen Händen eine abwehrende Geste. „Das gilt nicht für mich. Ich rede vorher mit den Frauen und halte mich an die Vereinbarungen. Irgendwie sehe ich es als Geschäft an. Wenn ich zufrieden war, gehe ich gern wieder zu ihr.“
Im Augenwinkel sah ich Jasmin am Ende der Bar stehen. Sie unterhielt sich mit einer anderen, recht jungen Frau.
„Deine Freundin Jasmin ist ein gutes Beispiel. Die hat das irgendwie drauf. Leider hat sie fast nie Zeit.“
„Du meinst, es ist schwer, mit ihr einen … Termin zu arrangieren?“
„Ja genau, so meinte ich das. Jasmin hat fast nur Stammkunden und nimmt sich für die sogar sehr viel Zeit.“
„Und die honorieren das großzügig.“
„Richtig! Ich kann mir das nicht leisten, für mich ist ein Fünfziger schon eine Menge Geld“, meinte Marco.
„Brauchst mir nicht zu sagen, ich muss für mein Geld auch arbeiten.“
„Und das gefällt mir an Jasmin. Bei der bekomm‘ ich eben für mein Geld trotzdem ihre ganze Aufmerksamkeit. Und auch wenn es nur eine halbe Stunde ist, es macht Spaß mit ihr, und ich habe immer ein gutes Gefühl.“
„Immer? So oft schon?“, fragte ich zwinkernd nach.
Marco lachte. „Mich reizt es immer, eine Neue auszuprobieren, aber mit Jasmin war ich schon öfter auf dem Zimmer.“
„Hallo, ihr beiden. Wie geht’s dir, Marco?“, fragte Jasmin, sah sich kurz um und winkte einem weiteren Typen am Tresen zu. „Das ist Aida. Sie ist neu hier“, erklärte meine Freundin und stellte uns eine sehr schüchterne junge Frau vor, die kaum Blickkontakt halten konnte.
„Hallo, Aida, schön dich kennenzulernen“, sagte Marco und reichte ihr die Hand. Zaghaft erwiderte sie den Gruß.
„Sie ist erst eine Woche hier“, flüsterte Jasmin mir zu. „Finanziert so ihr Studium.“
Ich lächelte ihr freundlich zu. Das Make-up trug eindeutig Jasmins Handschrift, allerdings mehr blau in blau und – vielleicht – ein wenig zu stark.
„Hallo. Hast du Zeit?“, fragte ein Typ mit teurer Designerbrille und aufgegelter Harry-Potter-Frisur. Derselbe dem Jasmin eben zugewunken hatte.
Die junge Osteuropäerin nickte.
„Ein Freund von mir will dich. Gib dir Mühe. Ein Hunderter, und wenn er zufrieden war, lege ich noch einen Bonus drauf.“
Er zeigte in Richtung des Spielautomaten, wo besagter Freund schon wartete. Ein älterer Mann. Mehr graue als braune Haare, Seitenscheitel und ein nicht zu übersehender Wohlstandsbauch. Er zog einen dunklen Vorhang zur Seite und erst jetzt erkannte ich, dass sich dahinter ein kleines Zimmer befand. Wir konnten von unserem Platz auf der Couch direkt hineinsehen.
Ich erkannte ein Bett, dessen Matratze gerade die Breite des Zimmers hatte. Außerdem ein hockerähnliches Tischchen zum Abstellen von Getränken und einen Aschenbecher.
Ich merkte, wie ich eine Gänsehaut bekam. Der Typ sah nicht ungepflegt aus, aber er war sicherlich dreißig Jahre älter als Aida, könnte locker ihr Vater sein – diese Vorstellung ließ mich frösteln. Er gab ihr förmlich die Hand und gewährte ihr zuerst den Eintritt in das Zimmer. Dass er den Vorhang einen Spalt offen ließ, war kein Zufall. Zwanzig, höchstens dreißig Zentimeter – ein kurzer Blick für jeden der vorbeiging.
„Und was machen wir beide, Schätzchen? Lust auf eine kleine Party?“, fragte Harry Potter und riss mich aus meinen Gedanken.
„Ich feiere mit ihm grad Party.“
„Du bist neu hier, Schätzchen?“
Wenn ich eins leiden kann, dann das, wenn mich irgendein Fremder als Schätzchen bezeichnet.
„Anja! Ich heiße Anja und nicht Schätzchen, Hase oder Schnucki.“
Da mein Tonfall eine Spur zu schnippisch ausfiel, korrigierte ich es schnell mit einem Lächeln. Das rettet meistens die Situation, auch in diesem Fall.
„Dann werde ich dich Anja nennen, obwohl mir Traumfrau besser gefallen würde. Kommst du mal, Jasmin …“
Marco und ich waren wieder allein. Alleine mit dem geöffneten Spalt, keine fünf Meter Luftlinie gegenüber. Ich sah die junge Aida auf dem Bett kniend, leicht nach vorne gebeugt, den Kopf im Schoß des Freiers. Sie hatte nicht gerade begeistert ausgesehen, als sie in dieses so genannte Ruhezimmer gegangen war und …
„Anja?“
„Was? Sorry, ich war ganz in Gedanken.“
„Das habe ich bemerkt.“
„Ich würde das nicht tun“, erklärte ich Marco, der mich nur ratlos ansah.
„Ich meine, einfach so mit einem Typen in ein Zimmer gehen.“
„Die Mädchen würden wohl auch lieber mit einem wie Brad Pitt oder Johnny Depp vögeln, aber es ist ihr Job und Geld stinkt nicht, wie ein römischer Kaiser einmal gesagt hat.“
Ich nickte. Auch wenn das hier nicht wirklich zu meiner Moralvorstellung passte, letztendlich ging es mich nichts an. Solange es in beiderseitigem Einverständnis stattfand …
„Du kennst Aida?“, fragte ich Marco.
„Nicht direkt. Ich war gestern Nachmittag kurz hier, da habe ich sie zum ersten Mal gesehen.“
„So rein zufällig hier im Mysteryland gelandet? Oder verfahren?“
Er grinste. „Ich war geschäftlich in der Gegend und hatte bis zum nächsten Kunden noch ein bisschen Zeit. Und um ehrlich zu sein, sie ist auch der Grund, weshalb ich heute Abend wieder hier bin.“
„Sie hat dich in ihren Bann gezogen“, stellte ich fest, und Marco nickte. Die junge Osteuropäerin entsprach wohl völlig seinem Schönheitsideal, wie sich herausstellte. Marco wartete jetzt immerhin schon seit vier Stunden, um das Mädchen eine halbe Stunde für sich zu haben.
„Obwohl du weißt, dass schon einige Männer drüber ge …“ Ich beendete abrupt meine Frage, und formulierte sie um. „Obwohl du weißt, dass schon einige Männer mit ihr geschlafen haben?“
Marco schaute einen Moment verlegen auf den Fußboden. „Gerade das macht mich an … sehr sogar“, gestand er zögerlich.
Ich nickte, versuchte, die neuen Erkenntnisse zu ordnen, fand aber keine Basis. Auch wenn ich der Meinung bin, dass Männer generell anders ticken als Frauen, so gab es doch zusätzlich noch jede Menge männlicher Facetten, die mir sehr fremd waren.
Weniger fremd war mir die Neugierde. Viele Männer schauten im Vorbeigehen kurz durch den geöffneten Vorhangspalt, und einige liefen auffällig oft an dem Zimmer vorbei. Das würde ich natürlich nie tun … ich entschuldigte mich kurz bei Marco und ging zum Spielautomaten, um Feuer zu schnorren. Während die Blonde in ihrer Handtasche kramte, hatte ich ganz zufällig freie Sicht in den Raum …
Aida saß mit dem Rücken zu ihrem Lover auf ihm drauf. Ihr Blick war verschämt zur Seite gerichtet und sie zuckte jedes Mal, wenn ein kräftiger Stoß tief in sie eindrang. Ich sah jedes Detail … nur für Sekunden, aber sie brannten sich in meinem Gedächtnis ein.
Wieder zurück bei Marco, zog ich ein paar Mal an meiner Zigarette,
„Wenn Aida da drinnen fertig ist … dann sprichst du sie an?“
Er nickte verschämt und versuchte zu lächeln. „Ich will sie auf einen Drink einladen, und dann, … mal sehen wie es mit der Chemie ist.“
Als auf einmal eines der Barmädchen vor mir stand, und mich freundlich auf das Rauchverbot aufmerksam machte, war ich irgendwie erleichtert. Schnell verabschiedete ich mich von Marco, winkte meinen Mann herbei und ging ins Kino, dem einzigen Raucherareal. Dass Jürgen das nicht wirklich passte, ignorierte ich. Ich musste ihm einfach von meinen Eindrücken erzählen ….von der blutjungen Aida, dem grauhaarigen Mann und allem, was mir durch den Kopf ging …
Als ich von dem Russen mit der Harry-Potter-Frisur erzählte, berichtete mir Jürgen, was er aufgeschnappt hatte.
„Ich habe mit ein paar Leuten geplaudert. Einige kennen den Typen. Im Grunde organisiert er Lustreisen.“
„Er macht was?“
„Du erinnerst dich doch. Da gab’s 2005 diesen Skandal bei VW, als die Betriebsratsmitglieder gemeinsam mit dem Vorstand sogenannte Lustreisen finanziert haben. Sollte natürlich nur die Interessen der Arbeitnehmervertreter und Arbeitgeber enger aufeinander abstimmen.“
„Das ist klar!“, zwinkerte ich Jürgen zu.
„Das Spiel ist einfach. Voraussetzung ist das grundlegende menschliche Bedürfnis nach gutem Essen, Alkohol und sexuellen Handlungen. Auf Deutsch – fressen, saufen, ficken! Selbst der renommierte Peter Hartz soll welche in Anspruch genommen haben.“
„Ja, ich erinnere mich. Diese Typen sind oftmals die größten Heuchler.“ Während ich die fertiggerauchte Zigarette ausdrückte, gab ich Jürgen einen Wink. „Komm, lass uns ein bisschen unters Volk gehen. Ich habe Jasmin schon eine Weile nicht mehr gesehen …“
Wir setzten uns an einen Tisch, unterhielten uns mit verschiedenen Frauen, die dort schnell einen Happen aßen, und trafen auch Jasmin wieder.
Ich muss zugeben, ich war schon etwas irritiert. Dass es im Mysteryland letztendlich um Sex ging, war mir natürlich schon vorher klar gewesen. Das war aber auch das, was mich reizte, hierher zu kommen. Einfach dieses Gefühl kennenzulernen. Es einmal mit eigenen Augen zu sehen. Die Atmosphäre zu schnuppern, zu fühlen, zu beobachten und versuchen herauszubekommen, was Männer wohl empfinden.
Aber auch die Frauen zu beobachten, ihre Mimik, wenn sie mit einem Typen aufs Zimmer gehen. Was sie dabei wohl denken … Das war eigentlich der Hauptgrund, weshalb ich Jasmins Arbeitsplatz live erleben wollte.
Geplant war nichts, nur ein paar Grundsätze hatten Jürgen und ich im Vorfeld besprochen. Es sollte eigentlich klar sein, dass der eigene Mann nicht mit dem Haushaltsgeld loszieht und sich mit Nutten vergnügt, während seine Frau sich Gedanken über die Finanzierung des wöchentlichen Speiseplans machen muss.
Natürlich kam es immer anders, als man es sich vorgestellt hatte, und was mir Jasmin vorschlug, damit hätte ich nie gerechnet …
„Dreihundert Euro?“, fragte ich sicherheitshalber noch einmal nach.
Jasmin nickte. „Hat Gregor vorgeschlagen. Er hat heute wieder mal gute Freunde dabei und ist in Gönnerlaune.“
„Ich blick‘ nicht wirklich durch. Gregor, das ist der 40-jährige Russe mit der Harry-Potter-Frisur, mit dem du … äh … unterwegs bist, richtig?“
„Genau! Und er hat ein paar Freunde dabei und will denen imponieren. Auf Deutsch, er zahlt alles und will nur das Beste.“
„Ich verstehe den Sinn nicht. Der weiß doch von dir, dass ich nur als Gast hier bin“, sagte ich.
Jasmin zuckte mit der Schulter. „Ja, und auch, dass dein Mann dabei ist. Er lädt euch trotzdem ein.“
Ich schaute zu Jürgen, in der Hoffnung, seine Meinung zu erfahren.
„Noch mal zum Mitschreiben“, fragte er Jasmin. „Dein Kunde will oben eine kleine Privatparty feiern und wir sollen mitmachen?“
„Nein! Einfach hochgehen und was trinken und ein bisschen dabeisitzen. Gregor ist ein Exzentriker. Alles Neue reizt ihn – und ihr, oder besser gesagt: Anja ist neu.“
„Und der weiß, dass ich nichts mit ihm machen werde?“
„Hab ich ihm gesagt. Ist okay.“
„Ich bin etwas verwirrt … du bist nicht dabei?“
„Nein! Ich habe noch ein Date.“
„Date nennt man das neuerdings?“
Jasmin grinste und zeigte mit einem Nicken zur Bar. Ein 30-jähriger Hübscher lächelte zurück. Im gleichen Moment sah uns auch Gregor. Er kam näher.
„Hallo, Traumfrau. Also?“
Sein selbstgefälliges Grinsen wirkte immer noch eine Spur zu arrogant.
„Unter 500 Euro läuft bei mir gar nichts …“, erklärte ich divenhaft und zeigte ihm die kalte Schulter.
„Einverstanden! Du regelst das, Jasmin!“
Jetzt war ich – zugegeben – doch sehr überrascht. Eigentlich standen die Chancen fünfzig-fünfzig. Ein Teil in mir würde sich das schon gern ansehen, der andere Teil ärgerte sich über diesen Geldheini.
Ich schaute zu Jürgen, der mindestens ebenso überrascht war und dann zu Jasmin, die aber nur grinste.
„Und der will wirklich so viel Kohle rüberschieben?“
„Hat er doch gesagt. In diesem Punkt macht Gregor nie Scherze.“
„Was sind das für Typen? Russenmafia?“, fragte Jürgen.
Jasmin lachte. „Ich denke, die verirrt sich nicht in so einen kleinen Laden. Aber wer weiß, was die für Dinger drehen. Gregor weicht mir diesbezüglich immer aus, und wenn ich ehrlich bin, so genau will ich es gar nicht wissen. Ich denke, die machen Geschäfte in der Grauzone und spielen gern die Bad Boys.“
„Und was erwartet uns da oben?“, fragte ich Jasmin.
„Wodka, Krimsekt und was man in FKK-Clubs halt so macht.“
„Sollen wir hochgehen?“, fragte ich meinen Mann.
„Wenn es uns nicht gefällt, verschwinden wir einfach wieder.“
„Genau! Das ist eine gute Einstellung. Trinkt was und schaut es euch an“, ermutigte uns Jasmin.
„Und der bezahlt wirklich dafür?“
„Anja! Wenn ich es dir doch sage. Und – der – heißt Gregor.“ Sie küsste mich auf die Wange und schlenderte aufreizend zu ihrem nächsten Kunden.
***
Was uns im oberen Stockwerk erwarten würde, war im Grunde recht simpel und klar. Theoretisch zumindest. Praktisch konnte ich es mir nicht wirklich vorstellen.
„Klopf du, Jürgen!“
Er lächelte, klopfte an die Tür. Eine nackte Blondine mit Zweiliter-Flasche Schampus im Arm öffnete und stürzte sich gleich wieder zu einer Gruppe Männer. Zögernd betraten wir den Raum. Gregor winkte uns zu sich, und ehe wir uns versahen, hatten Jürgen und ich Sektgläser in der Hand. Die Stimmung war wie auf einer ausgelassenen Party.
Was aber das Gesamtbild von jeder normalen Fete unterschied, waren die ausnahmslos nackten Menschen. Das schummrige Licht ließ die Leiber nur schemenhaft erscheinen. Langsam gewöhnten sich meine Augen an die zwielichtige Beleuchtung.
Das am Ende des langen Flurs gelegene Zimmer war deutlich größer als die anderen Räume. Vielleicht viermal so groß? Aber auch das Mobiliar entsprach einer höheren Qualitätsstufe. Rechts dominierte ein riesiges französisches Bett den Raum und ich erkannte jetzt auch zwei Männer, die sich dort mit drei Frauen vergnügten. Eine Sitzecke mit weiblichen Kleidungsstücken, achtlos weggeworfenen Handtüchern und einem guten Dutzend Sektflaschen.
Automatisch schaute ich wieder zum Bett. Mit einem „bisschen Ringelpiez mit Anfassen“ hatte das nichts mehr zu tun. Da ging es schon richtig zur Sache. Den Anfang der Privatparty hatten wir definitiv verpasst, wenn es denn überhaupt einen gegeben hatte.
Die Bilder überfluteten meine Sinne.
Ich liebe es, wenn ein erotischer Spannungsbogen langsam und subtil aufgebaut wird. Sich beispielsweise ästhetische, leicht bekleidete Körper anzusehen, die Gedanken schweifen zu lassen oder sich auch gewisse Szenen auszumalen. Hastig setzte ich das Sektglas an meine Lippen und leerte es in einem Zug.
Aus dem Augenwinkel sah ich die nur mit High Heels bekleidete Frau auf uns zukommen und war fast glücklich, ein bekanntes Gesicht zu sehen.
„Kommt mit!“, sagte Caro und griff nach meiner Hand. Das Separee hatte eine Verbindungstür zu einem weiteren Zimmer, wo eine protzige Rundumcouch den Raum dominierte. Wir setzten uns, und ich nahm die mir von Caro angebotene Zigarette.
Gregor und eine Blonde ließen sich uns gegenüber auf die Couch sinken. Sie lächelte kurz und führte ihr wohl schon draußen im Separee begonnenes Spiel fort. Im Grundprinzip bestand es daraus, sich von Gregors Hals nach unten zu küssen …
„Gregor fährt darauf ab, wenn Frauen ihm zusehen …“, flüsterte Caro uns zu. Angesichts seines steil emporstehenden „Klein-Gregor“ war mir das allerdings schon vorher irgendwie klar. „Die Blonde ist Marina, eine Kroatin. Wir wohnen zusammen.“
Caro war schon recht hübsch, aber Marina toppte das noch um eine Nuance. Ich machte es mir auf der Couch bequem und nippte an meinem zweiten Glas Sekt.
Langsam warf ich meine Moralvorstellungen in den Orkus und ließ mich in den Strudel der Sünde ziehen.
Schon Marinas überirdische Schönheit – lange blonde Haare, slawische Wangenknochen, eine sensationelle Figur – hätte mich wehrlos gemacht. Aber sie fickte auch so erbarmungslos wie ein hungriger Leopard, der eine Gazelle jagt, verbog ihren geschmeidigen Körper, zuckte vor Lust und machte sich ein Vergnügen daraus, den Russen abwechselnd mit ihrem Mund und ihrer Muschi in einem Zustand permanenter Erregung zu halten.
Als Gregor sich eine Verschnaufpause gönnte, kroch Marina zu Caro und küsste und streichelte diese mit der gleichen Leidenschaft.
„Nur keine Scheu!“, meinte der Russe, immer noch schwer atmend. „Vergnügt euch, nur keine Hemmungen!“, rief er uns zu und füllte umständlich unsere erneut geleerten Gläser. Wir fünf prosteten uns zu, und Caro rutschte zu Gregor.
Marina setzte sich einfach zwischen mich und Jürgen. Sie sah mir tief in die Augen und legte ihre Hand auf mein Knie. Langsam wanderten ihre Finger nach oben und vorsichtig zog sie mir die halterlosen Strümpfe herunter. Das Spiel wiederholte sie auch an meinem anderen Bein. Ich ließ sie einfach gewähren und fühlte mich sehr wohl dabei. Der BH fiel und als sie sich am Tanga zu schaffen machte, hob ich, vollkommen willenlos und gleichzeitig gefangen, meinen Po an. Als ich endlich nackt war, führte sie meine Hand langsam zum Knoten von Jürgens Handtuch – und die Aufforderung, diesen zu lösen, musste sie nicht aussprechen. Die Folgen der Erregung waren selbstverständlich auch an meinem Mann nicht spurlos vorübergegangen. Doch Marina kannte keine Grenzen. Als sie sich über seinen Schoß beugte, ihren Körper so ausrichtete, dass ich genau sehen konnte, was sie tat … durchzuckte mich erst ein kurzer Schreck … dann aber wieder die pure Lust. Mit deutlich erhöhtem Pulsschlag beobachtete ich, wie sein steifes Glied in ihrem Mund verschwand …
Plötzlich saß Caro wieder neben mir. „Wenn du das nicht willst, sag’s einfach …“, flüsterte sie mir ins Ohr.
„Ich weiß gar nicht, was ich will …“
„Dann lass dich einfach gehen. Du kannst jederzeit Stopp sagen. Gib Jürgen einen Wink, dann weiß er, wie weit er es genießen kann.“
Ich musste kurz schmunzeln. Jasmin hatte Caro bestimmt etwas über unsere „Grauzonen“ erzählt. Ich schaute ihn an, lächelte, und schmiegte mich an seine Schulter. Marinas Lippen massierten sein steifes Glied und Caros Hände suchten auch bei mir das Zentrum der Lust. Das(Dass!!) Gregor sie dazu animierte … egal. Es machte mich an. Mehr oder weniger passiv genossen wir die Berührungen der beiden Frauen, und der uns intensiv beobachtende Gregor verschwand aus meinem Sinn.
Mein Puls raste. Caro brachte mich schnell in Wallung. Ihre Finger waren schon längst mit einer dünnen Schicht meiner Feuchtigkeit überzogen. Sie presste ihre Brüste gegen meine und legte ihre gewölbte Hand über meine Scheide. Doch dann zögerte Caro kurz, und ich gab ihr mit einer deutlichen Vorwärtsbewegung meines Unterleibs das entsprechende Signal. Zwei Finger drangen in mich ein. Ich stöhnte auf. Sie zog die Finger langsam wieder heraus, um erneut einzudringen. Wieder zuckte ich zusammen, und mir wurde immer heißer. Die weichen und sinnlichen Lippen, die mich küssten, waren die der Kroatin. Ich erwiderte Marinas Kuss und hatte das brennende Verlangen, ihren Körper zu berühren, zu streicheln, zu erkunden und zu genießen.
Während Caro sich vor Jürgen kniete und ihn mit dem Mund verwöhnte, positionierte sich Gregor hinter ihr. Seine kraftvollen Stöße ließen Caro aufstöhnen. Die anschwellende Leidenschaft wechselte in blanke Gier und ich verlor zusehends die Kontrolle.
Mittlerweile war ich Marina völlig ausgeliefert. Ihre Zunge passierte gerade meinen Bauchnabel und verweilte über meinem babyglatten Venushügel. Mein Atem ging stoßweise und die Sekunden, bis sie endlich meine Perle erreichte, erschienen mir ewig.
Kurz bevor mich ihre geschickte Zunge in eine andere Welt beförderte, hielt sie inne. Mein Körper zitterte, und als nichts mehr nachkam, öffnete ich langsam die Augen.
Der Mann, der die ganze Session bezahlte, wollte ein weiteres Highlight sehen.
Marina nahm das Plastiktütchen in den Mund und riss eine Ecke ab. Geschickt stülpte sie das Kondom über den Silikon-Dildo, den ihr Gregor reichte. Direkt vor ihm spreizte sie ihre Beine und setzte die nachempfundene Penisspitze an.
Einer von Gregors Geschäftspartnern kam dazu und beobachtete eine Weile. Die Frau war ein Leopard. Keine Show, alles was sie tat, war echt, leidenschaftlich und spiegelte ihre Lust wider.
Wie die gefleckte Raubkatze wand und räkelte sich Marina vor den Männern und animierte Gregors Partner, die immer schneller werdenden Stöße mit dem Dildo selbst auszuführen. Caro setzte sich auf Gregors Schoß, der die Selbstbefriedigungsszene keine Sekunde aus den Augen ließ, und ihr mit immer stärkeren Bewegungen sein Glied hineinstieß.
Ich zog mich mit Jürgen langsam an den äußeren Rand des Sofas zurück und auch wir wollten jetzt zum Höhepunkt kommen. Während er sich das Schauspiel nicht entgehen ließ, hatte ich genug Eindrücke gesammelt. Ich schloss die Augen und sank tief und tiefer in die aufschäumenden Wellen aus Gefühl und Leidenschaft.
Meine erregten Sinne vereinten sich mit meinem aufgewühlten Körper, und das Kribbeln zwischen den Beinen nahm Fahrt auf. Plötzlich spürte ich Lippen auf meinem Mund. Für einen Moment registrierte ich es nicht wirklich, bis mir schlagartig bewusst wurde, dass es Jürgen aus seiner Position eigentlich nicht sein konnte …
Ich öffnete die Augen und schaute in die tiefblauen Augen der schönen Kroatin. Unsere Zungen verschmolzen, Jürgens Glied löste Kaskaden in mir aus, während Marina meine Hand direkt zwischen ihre Beine führte und mich ermutigte, sie dort zu berühren. Sie stöhnte heftig, als ich ihre Perle umkreiste. Gregor stürzte förmlich hinzu, kniete sich hinter Marina und drang mit seinem Glied in sie ein. Sein Unterleib klatschte gegen ihren Po.
Die Kroatin gab die Intensität der kraftvollen Stöße direkt auf meine Klitoris weiter, rieb fester, und während ich schon begann, die Luft anzuhalten, spürte ich ein pulsierendes, stabförmiges Etwas an meiner Hand. Aus dem Augenwinkel sah ich wie Gregor das Kondom abstreifte und sein Glied an meiner Hand rieb. Marina öffnete die Augen und bäumte ihren Oberkörper auf.
Gregor legte sein Glied in meine Handfläche und umschloss es mit meinen Fingern. Von seiner darüberliegenden Hand geführt, zuckte das fremde Glied, zuckte Marina, zuckte Jürgen – und ein ultrageiler Schub an Gefühlen riss mich in das Zentrum des Strudels und zog mich unter Wasser …
Ich tauchte zischend in einen Mix aus heißer Lava und eiskaltem Wasser. Alle Eindrücke stürzten wie ein Kartenhaus zusammen und nach einem gewaltigen Knall machte sich eine schöne, beruhigende Stille in mir breit. Als ich Minuten später die Augen öffnete, hielt Jürgen bereits meine Hand. Marina hockte ebenfalls neben mir und reinigte mit mehreren Kleenex meinen Unterarm. Die anderen Männer unterhielten sich lachend im großen Separee.
„Wieder in der realen Welt, Schatz?“, fragte mein Mann. Ich lächelte und war noch immer leicht benommen. Obwohl es nur ein einziger Orgasmus war, wirkte er doch in Verbindung mit der irren Situation wie eine kleine Bombe. Natürlich im positiven Sinn …
„Auf Freunde, ich habe den fliegenden Italiener angerufen, Pizza für alle, unten am Buffet“, rief uns Gregor zu und Jürgens Augen strahlten.
„Du kannst jetzt an Essen denken?“, fragte ich ungläubig.
„Nicht nur denken, Maus. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.“
Ich schaute zu Marina, aber auch die freute sich scheinbar über den Mitternachtssnack.
Ich schlüpfte in meine Dessous, verzichtete aber auf die halterlosen Stümpfe. Die High Heels dagegen hatte ich schon ins Herz geschlossen, und schaffte es immer besser, mich sicher damit zu bewegen.
Gregor war ein Spinner. Um nachts gegen zwei Uhr noch etwas geliefert zu bekommen, hatte er einfach zwanzig große Pizzen bestellt, und jeder Gast im Mysteryland profitierte davon.
Ich ließ mich von Caro und Marina überreden, noch einmal auf der Spiegelsäulenplattform zu tanzen. Aber nur noch zum Spaß. Die russischen „Geschäftsleute“ und fast alle übrigen Gäste standen drum herum, klatschen und sangen die Hits mit.
Die größte Überraschung der Nacht bescherte mir jedoch mein als hartnäckiger Tanzmuffel berüchtigter Ehemann, der Body-to-Body mit mir tanzte.
„When I die and they lay me to rest. Gonna go to the place that’s the best. When I lay me down to die. Goin‘ up to the spirit in the sky …”
Mit Norman Greenbaums One-Hit-Wonder endete der lange Abend im Mysteryland. Mit Jasmin, Caro und Marina ließen wir die Nacht in einer gemütlichen Bar ausklingen.
„Und Anja, was machst du mit der Kohle von Gregor?“, fragte Jasmin.
„Ich habe eine sehr gute Freundin in Köln. Sie erzählte mir von einer Hilfsorganisation, die sich für Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution einsetzt. Denen werde ich das Geld spenden.“
„Wie heißt der Laden?“
„SOLWODI, das steht für SOLidarity with WOmen in DIstress.“
„Finde ich gut“, meinte Jasmin. „Und die Kohle von deiner geilen Strippnummer?“
„Die werde ich auch spenden. Ich habe da eine super coole Handtasche im Sinn …“
„Dolce & Gabbana, Gucci, Prada, Hermes oder Balenciaga?”
„Nee, etwas Schlichtes, für alle Tage. Eine Umhängetasche, schwarz … Athletic Womens Shoulder Bag von Nike. Und vom Rest der Kohle, schicke ich meinen Mann und seine Pokerfreunde in die Kneipe …“
Jürgen lachte, Jasmin schmunzelte und Caro sah Marina fragend an.
„Kleiner Insider, könnt ihr so nicht verstehen“, erklärte ich den beiden. „Es fing damit an, dass ich mir einen gemütlichen Fernsehabend machen wollte …“
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